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Das dunkle Erbe

Das dunkle Erbe

Titel: Das dunkle Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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sich.
    »Hat dich immer noch der Ehrgeiz gepackt?«
    »Genau danach hab ich gesucht.« Die Kriminaltechnikerin kniete vor dem Schreibtisch. Sie zog die unterste Schublade auf der linken Seite heraus, dadurch befand sie sich dicht über dem Boden. Effie schob ihre Finger in den Zwischenraum zwischen dem Parkett und der Schublade. Ein lautes Klicken war zu hören, als schlüge ein Bolzen von innen gegen das Holz. An der Seitenwand der Schublade sprang eine Abdeckung auf.
    »Ein Federmechanismus, nur zu bedienen, wenn man die genaue Lage des Auslösers kennt. Er liegt an der Unterseite der Schublade, exakt eingepasst. Man spürt keine Unebenheit. Der Schreiner war ein Genie.«
    Die Seitenwand der Schublade war hohl. Sie enthielt ein Fach von der Größe eines dicken Briefumschlags.
    »Die beiden anderen Verstecke waren nichts Besonderes, Standard, könnte man sagen.« Effie holte mit ihrer Pinzette ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus. »Aber das hier ist nur für wenige Augen bestimmt.«
    Raupach gab sich Mühe, das Blatt mit seinen Schutzhandschuhen so wenig wie möglich zu berühren.
    Ein handschriftlicher Text. Die Großbuchstaben waren mit roter Tinte hervorgehoben:
     

Alte Büchsen und Codices, Dichtungen über den Einen, Fragmente Gerettet für die Historie Israels. Juwelen der Kunst, auf Leinwand Moderne Nymphen, in Oel gemalte Portraits, von Querköpfen und Revolutionären. Schließlich Trophäen Unseliger Verbrecher, der Wölfe Zierat.
     
    »Da habt ihr euer Geheimnis«, sagte Effie.
     
    RAUPACH HIELT inne, als er mit Photini die Straße zum Haus von Viktoria Brehm überquerte. Der Geruch von verbranntem Holz lag in der Luft, von Kaminfeuern und Kachelöfen, jetzt am späten Nachmittag war die Zeit dafür. Da die Ölpreise ins Unermessliche stiegen, heizten die Leute wieder mehr mit Holz, in Marienburg wohl nicht so sehr aus Sparsamkeit, dort war es eher ein gewohnheitsmäßiger Luxus.
    Vor dreißig Jahren, als Raupach mit seinem Freund den ganzen Tag im Freien gespielt hatte, auf den Bolzplätzen, den Wiesen unbebauter Grundstücke, in Straßen und Gassen mit wenig Verkehr, vor dreißig Jahren war dieser Geruch das Signal gewesen, zum Abendessen nach Hause zu kommen. Sie hatten den Heimweg stets um eine halbe Stunde hinausgezögert, nie um eine Ausrede verlegen.
    Seit Felix’ Krankheit rief jedes Alltagsdetail ein Stück Kindheit in Raupach wach. Wenn er in ein Käsebrot biss, mit scharfem Senf beschmiert. Die Rufe von Freizeitkickern, die im Nordpark Fußball spielten. Musikfetzen aus einer Disko, nach dem Vorbild der Titelmelodie einer alten Zeichentrickserie. Er hatte oft bedauert, wie nebulös und unstrukturiert seine Erinnerungen waren. Besonders die Zeit vor der Pubertät war ihm wie ein Brei erschienen. Jetzt steckte die Vergangenheit in allen möglichen Dingen, Erscheinungen. Unerwartet weiteten sich die Augenblicke, als hätten die Zeichen Winterschlaf gehalten und nur darauf gewartet, dass er ihnen einen Sinn zuwies.
    Er hätte nie für möglich gehalten, sich zu einem Nostalgiker zu entwickeln. Aber mit Felix’ unabwendbarem Tod vor Augen … Die gemeinsamen Erfahrungen würden bald enden, dadurch gewann das Vergangene an Wert. Was hatten sie als Jungen für verrückte Pläne gehabt? Es war ihre feste Absicht gewesen, zu heiraten und Familien zu gründen, auf parallelen Wegen den Erfordernissen der Erwachsenenwelt Genüge zu tun. An ihrem Lebensende jedoch, so hatten sie es sich vorgestellt, wären sie dann zusammengezogen, zwei alte Männer mit vielen Erfahrungen und aller Zeit der Welt.
    »Alles klar?«, fragte Photini.
    »Wir dürfen der Frau nicht zu viel verraten.« Raupach überlegte, wie sie das Gespräch mit Viktoria Brehm angehen sollten. »Solange wir nicht wissen, was es mit diesem verschlüsselten Schriftstück auf sich hat, können wir nur Andeutungen machen.«
    Effie Bongartz hatte das Blatt für die Ermittler fotokopiert und zur Analyse mit ins Labor genommen. Zum Schriftvergleich hatte sie auch Eva von Barths gesamte Korrespondenz und alle anderen Unterlagen, die zu finden gewesen waren, eingepackt.
    Es handelte sich um eine Art Aufzählung, so viel war zumindest klar. Die Großbuchstaben waren mit roter Tinte geschrieben, um die alphabetische Reihenfolge zu betonen. Photini hatte Raupach darauf hingewiesen, dass sich die Ärztin für jüdische Kultgegenstände interessiert hatte. Das mochte etwas mit der »Historie Israels« zu tun haben. Doch für »Juwelen der

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