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Das dunkle Erbe

Das dunkle Erbe

Titel: Das dunkle Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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weiß man vielleicht auch, was mit dem anderen in Wahrheit los ist, aber man hält den Schein des Respekts aufrecht, um ihn nicht zu kränken.«
    »Wie bei uns beiden.«
    »Mag sein.«
    »Wir leben immer noch in parallelen Welten, Klemens. Die Leute denken, das träfe nur auf Migranten zu oder auf all die Typen, die sich abschotten und nichts mehr wissen wollen vom Rest des Planeten, der nicht so tickt wie sie. Aber das gibt’s überall.«
    »Dass man sich gegenseitig was vormacht?«, fragte Raupach.
    »Zwei Parallelen treffen sich irgendwo in der Unendlichkeit. Aber erst dann. Deswegen gibt es Parallelen eigentlich gar nicht, sondern nur Tangenten. Hast du im Mathe-Unterricht nicht aufgepasst?«
    »Die Unendlichkeit. Das ist der Tod.«
    »Musst du alles ins Philosophische ziehen?«
    »Ich denke nur laut.«
    »Bei dir klingt das so pathetisch«, meinte Felix. »Immer.«
    »Warum hast du mir das nie gesagt?«
    »Hab ich doch! Keine Ahnung, wie oft.«
    »Moment mal.« Raupach ging das zu schnell. »Wie war das mit den Parallelen? Sie berühren sich nicht?«
    »Sei jetzt bitte nicht beleidigt.«
    »Ich beziehe das gar nicht auf uns beide«, wehrte Raupach ab. »Ich denke an etwas anderes.«
    »An deine Mörder?«
    »Ja.«
    »Dann wünsche ich gutes Gelingen. Ich muss Schluss machen, die Nachtschwester kommt.«
    »Was hat sie an?«
    »Clogs.«
    »Und sonst?«
    »Das kleine Weiße«, gab Felix durch. »Passt hier zu jeder Gelegenheit.«
    »Und drunter?«
    »Ich frag sie mal. Trägst du Unterwäsche, Henrike?«
    »Bist du verrückt?« Raupach hörte, wie sich Felix mit jemandem unterhielt. Gelächter.
    »Sie möchte deine Telefonnummer wissen.«
    »Gib sie ihr bloß nicht!«
    »Sie kennt dich, von den Nachtwachen.«
    »Ach ja?«
    »Sie sagt, sie würde gern mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten.« Wieder Gelächter.
    »Ist das wirklich eine Krankenschwester?«, fragte Raupach.
     
    ER KLAPPTE sein Handy zu. Es war dunkel geworden, sie fuhren zum Delphi, um etwas zu essen. Photini saß am Steuer, Höttges wollte in dem Lokal zu ihnen stoßen. Raupach ließ das Fenster herunterfahren. Ein warmer Wind blies durch die Straßen, so plötzlich, als habe jemand eine sehr große Klimaanlage eingeschaltet und dadurch den Frühling angeknipst.
    »Seltsame Gespräche führst du da«, sagte Photini. »Das war dein krebskranker Freund, oder?«
    »Ja.«
    »Hört sich an wie zwei Jungs, die ihrer Phantasie freien Lauf lassen.«
    »Es hält ihn bei Laune.«
    »Verstehe.«
    »Wir kehren an den Anfang zurück.« Raupach hielt die Hand in den Fahrtwind. »Das passt zu diesem Tag. Besonders ergiebig war er nicht.«
    »Jede Menge neue Rätsel und keine Erklärungen.« Photini trommelte aufs Lenkrad. »Drei Frauen sind tot, Heide wurde ernsthaft verletzt, und da hören wir uns all diese Geschichten an. Unter jedem Stein, den wir umdrehen, krabbelt eine neue hervor.«
    »Diese Verbindungen nach Amerika, sogar bei der Sekretärin. Findest du das nicht auffällig?«
    »Es ist ein riesiges Land. Ich hab auch Verwandte dort, in Chicago. Weißt du, wie weit Alabama von Boston entfernt ist? Das sind bestimmt zweitausend Kilometer.«
    »So weit wie von Köln nach Athen.«
    »Woher weißt du das?«
    »Zahlen sind doch meine Schwäche, Fofó. Die kann ich mir gut merken.«
    »Viele Griechen sind gar nicht gut zu sprechen auf die USA. Die haben damals in den Sechzigern die Militärdiktatur unterstützt.«
    »Spielt das heute noch eine Rolle?«, fragte Raupach.
    »Es kommt wieder hoch. Alles kommt wieder hoch, in Abständen.«
    »Europa und Amerika haben einander viel zu verzeihen.«
    Wieder mal eine Kalenderweisheit. Photini grinste und setzte hinzu: »Wie das so ist mit weitläufiger Verwandtschaft: Man schiebt die klärende Aussprache immer wieder auf.«
    Sie schwiegen und machten sich ihre eigenen Gedanken über all das an diesem Tag Gehörte, Beobachtete, Gefühlte, ließen es sacken. Wortlose Verständigung, hin und wieder ein Blick in der Gewissheit, dass der andere über dasselbe nachdachte, Möglichkeiten erwog und verwarf, nicht herauskonnte aus dem Beruf und hinter den fremden Biographien ein Stück eigenes Leben wiederzuerkennen versuchte. Evas Leiche war gefunden, die entscheidenden 48 Stunden nach den Morden waren verstrichen, der Hauptverdächtige aus dem Fokus der Ermittlung gerückt.
    Von Marienburg, dieser Ansammlung kleiner und großer Paläste, wo es kaum Spaziergänger oder Radfahrer gab, mit hohen Hecken und langgezogenen Mauern,

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