Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das dunkle Erbe

Das dunkle Erbe

Titel: Das dunkle Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
Vom Netzwerk:
mit Garagen so groß wie Doppelhäuser und Kellergeschossen, in denen Swimmingpools, Saunas, Solarien, Privatkinos und früher auch Kegelbahnen ohne weiteres Platz fanden, von der Stille gitterbewehrter Fenster und stummer Kameraaugen an Türklingeln ohne Namen, gelangten sie zurück in die Stadt. Nach ein paar Straßenzügen hatte sie das Leben wieder.
    Kölns Lichter wirkten in der beginnenden Nacht besonders intensiv. Die Leute spürten die Wärme, setzten sich ins Freie, standen in Grüppchen herum und beratschlagten, was sie mit dem angebrochenen Abend anfangen sollten. Die Gerüche der Südstadt drangen in den Wagen, Imbissstände aus aller Welt, Gebratenes, Frittiertes, Tabakrauch und noch mehr, die Parfüms junger Frauen und Männer, durchwebt von Wortfetzen in zahllosen Sprachen. Eine Polizeisirene, weit weg, laut Zentrale waren sie nicht zuständig.
    Photini mochte dieses Flair und nahm an, Raupach ging es ähnlich. Sie genoss es, dass er sich auf sie verließ. Jedes Wort, das er nicht an sie richtete, war ein Beweis dafür.
    Vielleicht dachte er an seinen Freund im Krankenhaus. Photini wusste nicht recht, wie sie damit umgehen sollte. Es war ihr unangenehm, Raupach direkt darauf anzusprechen. Andererseits wollte sie es nicht einfach ignorieren.
    Das Delphi, eine neonhelle Insel inmitten der düsteren Kneipen des Viertels. Sie parkte den Wagen, die Beleuchtung der Armaturen erlosch. Für einen Augenblick blieb sie bewegungslos sitzen. Dann zitierte sie:
    »Wenn du deine Reise nach Ithaka antrittst, so hoffe, dass der Weg lang sei. Reich an Entdeckungen und Erlebnissen.«
    »Was?«
    »Aus dem berühmten Gedicht von Kavafis.«
    Photini stieg aus, Raupach folgte ihr. In dem Lokal nahm sie ihre Cousine Rula beiseite. Der übliche ruhige Ecktisch, bring uns was Leckeres, Fisch, den mag er, keinen Ouzo, aber eine Flasche anständigen Weines, und davor ein Kölsch, damit sie Appetit bekamen.
    Raupach tat so, als habe er es nicht mitgekriegt. Fofó kümmerte sich um die kleinen Dinge des Alltags, das tat gut. Sie setzten sich.
    »Ithaka, die Heimat des Odysseus«, fing er an.
    »Ein Ort, an den man zurückkehren kann. Der auf einen wartet.«
    »Warum?«
    »Ich erzähle dir jetzt auch eine Geschichte. Von meinem Vater.«
    »Schön. Ich bin gespannt.«
    Photini rief sich das oft und oft Gesagte in Erinnerung. Es war ihr auf dem Weg ins Delphi eingefallen. »Also, mein Vater floh nach Deutschland, aus politischen Gründen. Eine Firma aus Mönchengladbach warb damals Gastarbeiter an, wie viele andere Firmen auch. Das sprach sich bei uns schnell herum, die Griechen boten sich scharenweise beim Arbeitsministerium an. In Athen wurden sie von einer Gesundheitskommission untersucht. Nur wer kerngesund war, wurde genommen. Mit schlechten Zähnen oder lädierten Knochen hattest du keine Chance.«
    Das Bier kam, sie machte eine Pause. »Er wurde mit dem Zug nach Deutschland gebracht. Anfangs lebte er in einem Auffanglager für Ausländer. Am Tag nach seiner Ankunft ging es gleich zur Arbeit in die Fabrik, zu einem Stundenlohn von drei Mark dreißig. Den Vertrag hatte mein Vater schon in Athen unterschrieben.«
    »War das ein fairer Lohn?«
    »Er war nicht wählerisch. Jedenfalls besuchte er nach seinem ersten Feierabend eine Kneipe in Gladbach, zusammen mit einem Freund. Sie bestellten sich ein Bier, so wie wir zwei.«
    Photini hob ihr Glas und stieß mit Raupach an. Sie nahmen einen kräftigen Schluck. »Mein Vater sah natürlich südländisch aus, kurz zuvor hatte er noch in seinem Olivenhain geschuftet. Einige Gäste beobachteten ihn und sagten irgendwas Abfälliges über ›Itaker‹, sie dachten, er sei Italiener. Mein Vater hatte aber ›Ithaka‹ verstanden. Er meinte allen Ernstes, die Deutschen würden das Gedicht von Kavafis kennen, und ihre Bemerkung sei so etwas wie eine Begrüßung unter Kulturvölkern.«
    »Schmeichelhaft.«
    »Er war zwar Kommunist, aber Poesie ging ihm über alles. Vielleicht wollte er es auch hören, schließlich war er guter Laune, und das Gedicht entsprach seiner Situation und seinen Gefühlen.«
    »Was ist passiert?«
    »Er hat sich bei den Deutschen bedankt. Für eine Beleidigung, ohne es zu wissen.«
    »Haben die das verstanden?«
    »Nicht die Bohne, mein Vater sprach nur griechisch, er gestikulierte, redete mit Händen und Füßen. Wahrscheinlich hielten die ihn für plemplem.«
    »Hat sich das Missverständnis aufgeklärt?«, wollte Raupach wissen.
    »Erst viel später. Er schrieb

Weitere Kostenlose Bücher