Das dunkle Erbe
nie darüber. Nachdem er gestorben war, hat Eva die Sache nicht weiterverfolgt. Erst als ich mit ihr Kontakt aufnahm, überlegte sie, was zu tun war.«
»Was hatte sie denn vor?«
»Sie war sich nicht schlüssig. Der Gedanke an einen Schatz kam ihr abenteuerlich vor. Wenn etwas dran war, wollte sie es auf jeden Fall öffentlich machen. Aber zuerst musste sie die gesamte Geschichte kennen. Dabei sollte ich ihr helfen.«
»Eva von Barth galt als verschlossen«, sagte Raupach. »Als Verwandte von David Springmann hatten Sie bei ihr wahrscheinlich einen Bonus.«
»Ich denke schon. Aus ihren Briefen las ich heraus, dass es sie bedrückte, sich nach all den Jahren mit ihrem Vater auseinanderzusetzen. Es kam ihr so vor, als wolle er sie mit dieser Liste posthum kränken. Offenbar hatte er ein Geheimnis gehütet, das er nie mit seiner Tochter teilte. Da half es, sich mit jemandem wie mir ein wenig auszutauschen. Obwohl es bestimmt nicht leicht für Eva war.«
»Besitzen Sie die Briefe noch?«, fragte Raupach.
»Ich bewahre sie bei mir zu Hause in New York auf. Aber die helfen uns jetzt nicht weiter«, wehrte Sharon ab. »Sie sind sehr förmlich, Eva war nicht der Typ, der einer Fremden auf dem Papier das Herz ausschüttete.«
»Wir haben mehrere Mordfälle aufzuklären, vergessen Sie das nicht. Können Sie uns die Briefe möglichst schnell zukommen lassen?«
»Sicher, das geht.«
»Schön. Hatten Sie den Eindruck, Eva von Barth fühlte sich bedroht?«
»Nein, das können Sie mir glauben«, versicherte Sharon. »Sonst hätte ich das schon Ihrer Kollegin im Hotel gesagt.«
Raupach nickte und lenkte das Gespräch wieder auf den Schatz. »Wir vermuten Folgendes: Gustav von Barth entdeckte beim Kauf der Villa das, was er kurz vor seinem Tod in metaphorischer Form auflistete.«
»So sehe ich das auch. Der Schatz besteht aus drei Teilen. Zuerst wären da Davids jüdische Kultobjekte.«
»Wie viel ist so etwas heute wert?«
»Ich habe mich auf dem Antiquitätenmarkt umgesehen.« Sie sah Raupach eindringlich an. »Wenn die Sammlung dem nahekommt, was meine Familie von Urgroßmutter Hedwig weiß, müssten hunderttausend Dollar das Minimum sein. Aber Hedwig kannte sich mit derlei Dingen nicht aus. Eine Thorarolle, kostbar umhüllt, mit Krone und Schild, zum Beispiel aus der Zeit des Barock, ist unbezahlbar.«
»So etwas lässt sich nicht an jeder Straßenecke verkaufen.«
»Aber im Internet. Es gibt für alles Abnehmer und dafür erst recht. In den USA besinnen sich derzeit wieder viele Leute auf ihre jüdische Abstammung.«
»Drei Teile, sagten Sie.« Raupach spann den Gedanken weiter. »Das heißt, Ernst Wenzel fügte der Sammlung Ihres Urgroßvaters weitere Wertgegenstände hinzu, und nach ihm tat Graham Marsh das Gleiche?«
»Genau.«
»Das haben wir uns auch schon gedacht, aber ist das nicht ein bisschen viel auf einmal?«
»Kommt darauf an, was Wenzel und Marsh Wertvolles hinzufügten«, erwiderte Sharon.
»Darüber haben wir nur Vermutungen.«
»Wenzel war ein vorausschauender Mann. Er legte sein Vermögen und das, was von Davids Besitz noch in der Fabrik und im Haus steckte, in Gemälden an. Ich habe die Verzeichnisse diverser Auktionshäuser und Galerien eingesehen, die führten genau Buch über ihre An- und Verkäufe. Bei einem Kunstwerk ist der Provenienznachweis sehr wichtig.«
»Bekamen Sie ohne weiteres Auskunft?«
»Gute Beziehungen und etwas Überredungskunst.« Mit den Fingern machte sie das Zeichen für Geld. »Ich habe Ersparnisse.«
»Da sind Sie der Polizei ein Stück voraus.« Raupach lächelte. Überzeugungskraft besaß diese Frau, das war mal sicher. Ihr Eifer steckte an, setzte etwas frei. Er ertappte sich dabei, wie er ein wenig kribbelig wurde und sich wünschte, Sharon behilflich zu sein.
»Also«, fuhr sie fort. »Wenzel hatte einen guten Riecher, der kaufte keine Nazischinken, Bauernschönheiten in Wollsocken und so etwas, sondern« entartete »Kunst, Expressionisten, Kubisten, Wiener Sezession. Wenn Sie Namen hören wollen: Kirchner, Feininger, Klimt. Nicht unbedingt große Meisterwerke, obwohl von denen auch eine Menge verschollen sind, sondern kleinere Sachen, Zeichnungen, Aquarelle, Studien. Allein die Bilder, denen ich auf die Spur gekommen bin, sind heute insgesamt zwei Millionen wert.«
»Manche Leute morden schon für sehr viel weniger«, stellte Raupach fest.
»Als der Krieg zu Ende ging, musste Wenzel schreckliche Angst gehabt haben, dass die Besatzungstruppen seine
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