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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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die Menschen erfasste, die an den Plastiktischen saßen. Er war angespannt, obwohl er ihr etwas anderes zu suggerieren versuchte. Sie sah es in seinen Augen und in der Art, wie er seine Finger bewegte. Seine Nerven lagen ebenso blank wie die ihren, wenn auch aus gänzlich anderen Gründen.
    Carmen musste sich zwingen, die Karte zu lesen. Ihr ganzer Körper schrie danach aufzuspringen und etwas zu unternehmen, dabei brauchte sie lediglich ein Telefon und zwei oder drei Minuten ohne Beobachtung. Sie legte die Karte zurück und erhob sich halb.
    „Bestellst du mir einen Kaffee“, bat sie ihn, „und Schnitzel mit Kartoffelsalat?“ Sie zwang Ruhe in ihre Stimme. „Ich gehe mal nachsehen, ob die hier ein Klo haben.“
    Nikolaj hob seinen Blick. „Sicher“, sagte er.
    Sein Tonfall klang völlig normal. Keine Spur von Misstrauen. „Danke“, murmelte Carmen.
    Sie drehte sich um und betrat den Gastraum. Drinnen waren fast alle Tische leer, kalter Rauch hing in der Luft. Sie entdeckte die Toilettenschilder an der hinteren Raumwand. Eine Kellnerin kam ihr entgegen.
    „Entschuldigung“, sprach Carmen sie an, und setzte dabei ein hilfloses Lächeln auf. „Haben Sie vielleicht ein Telefon, das ich schnell benutzen könnte? Ich ...“, sie kramte in ihrer Hosentasche nach Geld, „bezahle auch dafür.“
    Die Frau verzog entnervt das Gesicht. „Die Straße runter sind Telefonhäuschen, können Se’ nich ...“
    „Es ist wirklich dringend“, stieß sie hervor. „Es geht um mein Kind, und ich ...“ Sie legte einen weinerlichen Ton in ihre Stimme, der nur zur Hälfte gespielt war. „Ach bitte, können Sie mir nicht kurz helfen?“
    Die Kellnerin zog die Augenbrauen zusammen, aber dann entspannten sich ihre Züge.
    „Na jut“, entschied sie. „Warten Se’ ma.“
    Carmen spürte, wie Erleichterung ihre Nerven umspülte. Die Frau drängte sich hinter die Theke und reichte ihr ein schnurloses Telefon über den Tresen. Carmen begann mit zitternden Fingern die Nummer einzutippen. Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung im Eingangsbereich wahr. Eine männliche Silhouette. Nikolaj. Heiß schoss Panik in ihr hoch.
    Katzenbaum blickte überrascht auf, als Rafiq die Tür aufstieß und ihm atemlos die gebundene Broschüre entgegenhielt.
    „Museumsinsel“, keuchte er. „Haben wir Bilder von der Museumsinsel?“
    Felix Roth drehte sich zu ihm um und nickte. Er blätterte einen der dicken Aktenordner auf, der auf dem Tisch lag.
    „Was ist?“, fragte Katzenbaum. „Hattest du eine Eingebung?“
    „Hier.“ Rafiq schlug die Broschüre auf, dann legte er den Katalog daneben. „Das neue Museum grenzt an einen kleinen Platz, der von einem Säulengang umgeben ist. In der Mitte steht eine Bronzestatue.“
    „Ja“, murmelte Katzenbaum. Er machte eine Handbewegung zur Wand hin. „Wir haben es auf unserer Liste.“
    „Nein“, stieß Rafiq hervor. Es war plötzlich so offensichtlich. „Nein, ich weiß jetzt, was mit dem roten Fenster gemeint ist.“
    „Hier sind die Fotos“, mischte Roth sich ein. Er schob den Ordner über den Tisch.
    „Das rote Fenster – ist eine Metapher.“ Rafiq wischte sich über die Augen. „Das ist eine alte Geschichte. Mein Gott, Lev, das muss es sein. Es muss einfach.“
    Er stieß den Atem aus.
    „Es muss.“
    Carmen ließ den Hörer fallen, als hätte sie sich daran verbrüht. Sie warf der Kellnerin einen flehenden Blick zu. Die Frau starrte sie nur verständnislos an. Es geht jetzt nicht, formulierte Carmen lautlos. Dann, ohne sich umzudrehen, sagte sie in krampfhaft normalem Ton: „Also Schnitzel mit Kartoffelsalat. Und können Sie mir noch einen Kaffee machen?“
    Die Frau wollte etwas sagen, aber Carmen wandte sich sofort ab. Es gelang ihr, Überraschung zu simulieren, als sie beinahe in Nikolaj hineinlief. Sie zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht.
    „Ich habe für mich schon bestellt.“
    Er blickte sie sonderbar an. Carmen spürte, wie Panik in ihre Glieder schoss. Dann nickte er.
    „Okay.“
    Carmen berührte ihn leicht am Arm. „Ich warte draußen.“
    Ihr Nacken brannte, während sie zwischen den leeren Tischen hindurch zur Tür ging. Sie drängte sich zurück an ihren Platz und holte ein paar Mal heftig Atem. Dann drückte sie ihre Hände flach auf die Wangen. Ihre Handflächen waren eisig kalt, die Wangen glühten.
    Hatte er etwas bemerkt? Sie wusste es nicht.
    „Ihr wollt also eure Entscheidung aufgrund einer alten Geschichte treffen, in der ein blutiges Fenster erwähnt

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