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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Gesicht. Nikolaj hob die Hand und strich sie beiseite. Carmen duldete seine Berührung, ohne zurückzuweichen. Seine Finger glitten über ihr Kinn, dann ließ er den Arm sinken. „Dir wird nichts passieren. Du bist eine Touristin, du schaust dir ein paar alte Bilder an. Wenn was schief geht, bleibst du einfach in der Ausstellung, bis sich die Lage beruhigt hat.“
    „Darum geht es nicht.“ Der auffrischende Wind riss ihr die Worte von den Lippen. Irgendwo hupte ein Auto.
    „Worum dann?“ Seine Stimme vibrierte.
    Sie überlegte einen Moment, wohl um die richtigen Worte zu suchen.
    Nikolaj berührte sie an der Schulter.
    „Komm. Sonst sind wir zu spät.“
    Er blickte ihr nach, wie sie zwischen anderen Passanten den Kiesweg hinunterlief, der zu den großen Doppeltreppen führte. Wind zerrte an ihren Haaren, ihre Schritte wirkten schnell und zielstrebig. Sie bog um die Ecke und verschwand.
    Nikolaj wandte sich ab. Einen Moment blieb er noch stehen und beobachtete zwei Teenager, die auf der Rasenfläche saßen. Der ganzen Szene haftete friedlicher Alltag an. Nichts deutete auf eine bevorstehende Eruption von Gewalt hin. Tief holte er Atem. Er tastete nach der Beretta, die er in einem Schulterholster unter der Jacke trug. In der Jackentasche befanden sich die beiden Ersatzmagazine. Über seinem rechten Fußknöchel hatte er außerdem ein Messer befestigt, eine kleine Waffe mit einer schmalen, sehr stabilen Klinge, die er in Innsbruck gekauft hatte. Das war ein paradoxer Widerspruch. Er hatte nicht die Absicht, das Zusammentreffen mit Kusowjenko in einem Kampf eskalieren zu lassen, aber er war dennoch für Krieg gerüstet. Obwohl er versucht hatte, Carmen etwas anderes zu suggerieren, war er keinesfalls sicher, dass er die Waffen nicht doch brauchen würde. Tatsächlich hatte er ein schlechtes Bauchgefühl, und seine Anspannung steigerte sich, je näher das Treffen rückte. Seine Entscheidung, den Plan in letzter Minute zu ändern, war nicht rationaler Überlegung entsprungen, sondern dem dringenden Bedürfnis, Carmen zu schützen. Falls es zu einer Schießerei kam, wollte er sie da raushalten.
    Er drückte sich durch eine schmale Lücke im Bauzaun, der das Gelände des Neuen Museums absperrte. Durch die Risse und Spalten zwischen den Sperrholzplatten konnte er den Vorplatz überblicken, ohne selbst von außen entdeckt zu werden. Er sah auf die Uhr. Die Zeiger standen auf kurz vor drei. Sieben Minuten noch, dachte er. Das Treffen stand unmittelbar bevor.
    Tal parkte den Wagen in einer Halteverbotszone direkt am Spreeufer, stellte den Motor ab und riss die Fahrertür auf.
    „Viel Glück“, sagte Katzenbaum.
    Rafiq nickte. Er wechselte einen Blick mit Tal, dann liefen sie los. Aggressiv drängten sie sich durch die Menschenmenge. Grolaniks Leute mussten bereits an Ort und Stelle sein, doch keiner von ihnen hatte Fedorow bisher entdecken können. Die ganze Operation war ein einziges Chaos. Rafiq fragte sich erneut, wie der Mossad es überhaupt geschafft hatte, sich den legendären Ruf anzueignen, der ihm noch heute anhaftete. Gewiss nicht durch das Talent, Unternehmungen sorgfältig vorzubereiten und dann geplant durchzuführen.
    Jemand stieß gegen seine Schulter. Er murmelte eine Entschuldigung und rannte weiter. Hinter der Brücke wurden sie langsamer, um nicht zuviel Aufmerksamkeit zu erregen. Rafiq ließ seinen Blick über die Gesichter fliegen, mehrmals glaubte er bekannte Züge zu erkennen, nur um Sekunden später festzustellen, dass er sich getäuscht hatte.
    „Siehst du jemanden?“, fragte Tal neben ihm.
    Rafiq schüttelte den Kopf. Seine Unruhe wuchs mit jeder Sekunde. Sie liefen gut fünfzig Meter am Bauzaun entlang, der das Neue Museum abschirmte. Ein Stück voraus stand eine Gruppe Touristen und lauschte einem Stadtführer. Tal und Rafiq schlossen zu ihnen auf und blieben am Rand der Ansammlung stehen. Von hier aus konnte Rafiq die Kolonnaden sehen und dahinter die Bronzestatue.
    Aber weder Fedorow noch Carmen stachen aus der Menge. Mehrere Glockenschläge dröhnten vom Berliner Dom und mischten sich mit dem Verkehrslärm und der lauten Stimme der Fremdenführerin, die über die Schäden berichtete, die die Museumsinsel im Zweiten Weltkrieg genommen hatte.
    Nikolaj lauschte den Schlägen der Turmuhr. Irgendwo hinter ihm ratterte ein Presslufthammer. Er hörte Schritte in seinem Rücken und drehte den Kopf. Ein Bauarbeiter kam auf ihn zu, ein schwerer Mann in einem blauen Overall.
    „Hey“, rief er,

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