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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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„hier können Sie aber nicht bleiben. Das ist Baustelle, Betreten verboten, können Sie nicht lesen?“
    Scheiße. Er war Samstag, was zur Hölle hatte der Kerl hier verloren? Nikolaj warf einen raschen Blick durch die Lücke im Zaun. Der Platz vor der Nationalgalerie war leer bis auf ein paar japanische Touristen auf der anderen Seite der Rasenfläche.
    „Sind Sie taub?“, fragte der Bauarbeiter angriffslustig. Er war jetzt bis auf wenige Meter herangekommen. Nikolaj fokussierte kurz auf den Hofbereich hinter dem Mann. Niemand sonst war zu sehen.
    „Ganz ruhig“, sagte er, während seine Gedanken sich zu überschlagen begannen. Er blickte dem Bauarbeiter ins Gesicht. „Tut mir wirklich leid. Ich bin nicht von hier. Ich dachte nur ...“, der Mann kam noch näher, in seinen Augen keimte Misstrauen, „ich kann hier quer laufen.“
    Der andere stand jetzt auf Armeslänge vor ihm.
    „Ach wissen Sie was?“, murmelte Nikolaj, während er in einer glatten Bewegung die Pistole zog. „Ist ja auch egal.“
    Ein Ausdruck barer Überraschung gefror auf dem Gesicht des Bauarbeiters, als Nikolaj ihn mit einem Hieb gegen das Kinn außer Gefecht setzte. Er zerrte den schweren Körper dicht an den Zaun, so dass er im Schatten zu liegen kam, und spähte abermals nach draußen.
    Ein Mann in einer dunkelbraunen Jacke trat in sein Blickfeld. Er blieb mit dem Rücken zum Zaun stehen und zündete sich eine Zigarette an. Der Geruch von parfümiertem Tabak wehte herüber. Vanille und Sandelholz, eine exotische Mischung, mit der sich Nikolaj nie hatte anfreunden können. Er entsicherte die Beretta, dann trat er mit zwei raschen Schritten hinaus ins Freie.
    „Du kannst das Ding wegstecken“, sagte der Mann, ohne sich umzudrehen. In einem langen Atemzug blies er den Rauch durch die Nasenlöcher. „Du wirst das nicht brauchen.“
    „Hallo Viktor“, sagte Nikolaj.
    Seine Stimme suggerierte Gleichmut. Er spürte, wie Adrenalin in seine Adern drückte. Gleichzeitig senkte sich Ruhe auf ihn herab. Er hatte den Eindruck, jedes Detail mit maximaler Schärfe wahrzunehmen. Der Geruch feuchter Erde, die Spatzen, die sich zwischen den Sandsteinsäulen um Brotkrümel balgten. Ein einzelnes Laubblatt, das an seinem Schuh klebte.
    Kusowjenko nahm noch einen Zug von der Zigarette, dann drehte er sich um. Er hatte sich kaum verändert, dachte Nikolaj. Viktor besaß die Statur eines Preisboxers und das Gesicht eines Gelehrten. Eine eigentümliche Mischung, die viele Menschen dazu verleitete, ihn falsch einzuschätzen. Auffällig war sein weißblondes Haar, das wie Kinderflaum die Kopfhaut durchscheinen ließ. Er schob seine Brille ein kleines Stück nach oben, dann streckte er eine Hand aus.
    „
Sdrastwuf
“, sagte er. „Gut, dich zu sehen.“
    Sein Gesicht wirkte ernst, als er das aussprach, und Nikolaj wünschte sich plötzlich, dass es keine Lüge war. Er versuchte seine Empfindungen auszuloten, als er Viktor die Hand schüttelte. Zu seiner eigenen Überraschung fand er keinen echten Groll. Er konnte Viktors Motive verstehen, und das war eigentlich erschreckend.
    „Komm“, sagte er, „lass uns ein Stück gehen.“
    Kusowjenko ließ die Zigarette fallen. „Willst du nicht endlich die Waffe weg tun?“, fragte er mit Blick auf die Beretta. Er drehte die Handflächen nach oben. „Siehst du einen von meinen Männern hier?“ Er machte eine kleine Kopfbewegung. „Nein“, beantwortete er sich selbst die Frage. „Ich habe gesagt, ich will reden. Also reden wir. Brauchst du eine Pistole zum Reden?“
    Nikolaj musste unwillkürlich lächeln.
    „Wenn du noch länger damit herumfuchtelst“, sagte Kusowjenko in liebenswürdigem Tonfall, „dann ruft am Ende einer der Touristen hier die Polizei. Und das muss ja nicht sein.“
    Nikolaj schob den Sicherungsbolzen zurück und steckte die Beretta seitlich hinter seinen Hosenbund, so dass sie von seiner Jacke verdeckt wurde. Sie betraten nebeneinander den Laubengang.
    „Das ist ein sehr erbaulicher Ort“, bemerkte Viktor. Er hielt Nikolaj die Zigarettenschachtel hin.
    Nikolaj schüttelte den Kopf. „Danke. Ich hasse die parfümierten Dinger. Wie kannst du so was rauchen?“
    Kusowjenko kicherte. „Du kaufst immer noch die französischen filterlosen, oder? Das wird noch mal dein Tod sein.“
    „Übrigens“, fragte Nikolaj in beiläufigem Tonfall, „wo stecken deine Gorillas eigentlich?“
    „Vielleicht habe ich sie ja zu Hause gelassen?“
    „Du bist vielleicht redselig, aber nicht

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