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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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hastigen Zügen. Es war möglich, sogar wahrscheinlich, dass sie sein Haus durchsuchen würden. Er wollte das Risiko nicht eingehen, dass sie die Bilder fanden.
    Mit raschen Bewegungen zog er die Laken herunter. Er nahm ein Teppichmesser vom Tisch und begann, die Leinwände von den Holzrahmen zu trennen, eine anstrengende, schweißtreibende Arbeit. Die leeren Rahmen stapelte er gegen die Wand und deckte sie wieder ab. Grob schob er Fasern und Gewebefetzen mit dem Fuß zusammen. Er sortierte die Leinwände in vier Stapel, rollte sie zusammen und verklebte die Zylinder mit Paketband. Als er einen Blick auf seine Armbanduhr warf, standen die Zeiger auf kurz nach Mitternacht.
    Nikolaj lehnte sich gegen den Holztisch, zündete eine neue Zigarette an und betrachtete die Bilderrollen auf dem Boden. Das was er hier tat, war nicht rational. Ein fauler Kompromiss. Leichtsinn, er wusste das. Eigentlich hätte er die Bilder vernichten müssen. Eigentlich hätte er sie gar nicht erst hierher bringen dürfen. Es waren immer Dinge wie diese, die Operationen gefährdeten und Tarnungen zerstörten. Kleine Sentimentalitäten, die man für verzeihlich hielt. Er wusste das, natürlich. Trotzdem konnte er sich nicht dazu durchringen, die Bilder zu verbrennen.
    Nikolaj drückte den Zigarettenrest aus und stieß sich von der Tischkante ab. Er schob die Lederfutterale zur Seite und machte sich daran, den Dielenboden gründlich zu reinigen.
    Dann ging er hinüber ins Bad, entkleidete sich und stellte sich unter die Dusche. Lange Zeit blieb er unter dem heißen Wasserstrahl stehen, die Augen geschlossen, die Arme gegen die Wand gestützt. Wenn er morgen dieses Haus verließ, war es möglich, dass er für lange Zeit nicht zurückkehren würde. Vielleicht nie mehr. Er fragte sich, wie sie ihm auf die Spur gekommen waren. Wer genau hinter ihm her war. Wie viel sie wussten. Schwerwiegende Fragen, auf die er schnell eine Antwort finden musste.
    Derjenige, der Informationen über ihn sammelte, ahnte noch nicht, dass sein Zielobjekt Verdacht geschöpft hatte. Nikolaj würde versuchen, diese Illusion so lange als möglich aufrecht zu erhalten. Wenn seine Verfolger sich unentdeckt wähnten, standen sie nicht unter Handlungszwang. Sie würden sich mit ihren Vorbereitungen Zeit lassen, was ihm wiederum die Zeit gab, mehr über sie herauszufinden und sich, wenn nötig, rechtzeitig abzusetzen.
    Er drehte den Wasserhahn zu, trat aus der Dusche und trocknete sich ab. Dampf staute sich im Raum und beschlug die Spiegel. Nikolaj ließ sich auf ein Knie herunter und schob den Waschtisch zur Seite. Er entfernte die lockere Fliese aus der Wand und zog den Pappkarton heraus. Er blätterte durch die Klarsichtfolien und entschied sich schließlich für Ahmed Abi-Hachem, den Beiruter Weinhändler. Er würde als Nicolá Martin reisen, aber Abi-Hachem war seine Reserve-Identität, falls irgendetwas schief ging. Es war ein guter Pass, einer mit passender Legende, falls jemand die Angaben zu überprüfen versuchte. Zuletzt nahm er die Beretta aus dem Karton. Er wog sie kurz in der Hand, dann legte er sie wieder zurück zwischen die Papiere. Wer als Zivilist eine Schusswaffe bei sich trug, riskierte immer auch, damit erwischt zu werden. Noch war die Situation nicht eskaliert, deshalb war es sicherer, das Ding hier zu lassen. Falls die Umstände sich änderten, würde er sich eben anderweitig eine Waffe besorgen müssen.
11 Beirut | Libanon
     
    Es war eine Situation, die Carmen unbedingt hatte vermeiden wollen. Rafiq hatte das Restaurant ausgesucht, ein kleines Lokal mit einer Terrasse direkt am Meer. Vom Wasser her wehte ein leichter Wind und brachte Kühle, so dass Carmen froh war, ihre Strickjacke mitgenommen zu haben. Weit entfernt blinkten die Lichter der Patrouillenboote.
    Am Nachbartisch saßen zwei junge Leute und unterhielten sich leise. Er hatte seine Fingerspitzen über den Tisch hinweg auf ihre Hand gelegt. Carmen fixierte das verglaste Windlicht, um Rafiq nicht direkt ansehen zu müssen. Sie fühlte sich überrumpelt. Der ausgezeichnete Weißwein, die Wellen, die sich unten an der Kaimauer brachen, der feine Nebel salziger Gischt, der vom Wind hoch auf die Terrasse trieb – Details, die ihren Groll noch steigerten.
    Zwei Kellner servierten Mezzé, Vorspeisen in kleinen Schälchen. Als sie sich diskret entfernt hatten, blickte Carmen auf und sah Rafiq ins Gesicht.
    „Okay“, sagte sie rau, „was soll der Scheiß?“
    Er hob eine Augenbraue. Die Andeutung

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