Das dunkle Fenster (German Edition)
Leute“, sagte der Mukhtar. Ein Hauch Selbstgefälligkeit glitt über sein Gesicht. „Sie haben sich nach Möglichkeiten erkundigt, ein Haus in der Gegend zu erwerben. Sie hatten sogar schon verschiedene Grundstücke angesehen und mich danach gefragt.“
„Tatsächlich?“
„Sie suchen ein Haus für den Sommer“, fuhr Rabi’a fort, „und Hawqa gefällt ihnen. Sie haben sogar davon gesprochen, dass man die alte Kapelle oben am Sandhügel wieder aufbauen könnte.“ Er kicherte vergnügt. „Meine Frau war darüber ganz aus dem Häuschen. Sie haben auch nach Ihrem Haus gefragt, aber ich habe ihnen schon gesagt, dass es nicht verkäuflich ist. Das stimmt doch, oder?“
Nikolaj behielt sein Lächeln auf den Lippen, obwohl es ihn Mühe kostete. „Ja“, murmelte er.
„Das habe ich den Herrschaften auch erklärt“, bestätigte Rabi’a, „dass Sie es ja selbst erst vor ein paar Jahren erworben haben.“
Nikolaj hörte kaum zu, während der Mukhtar weiterredete und darüber sinnierte, was für ein Glück es war, dass das schöne Haus nach so langer Zeit wieder einen Besitzer gefunden hatte. Fieberhaft ging er seine Optionen durch. Er musste von hier verschwinden, er musste verreisen. Jemand versuchte Informationen über ihn zu sammeln. Sie waren damit beschäftigt zu recherchieren, waren sich vielleicht noch nicht schlüssig, ob er wirklich der war, für den sie ihn hielten. Sie versuchten sich abzusichern. Deshalb das Foto, deshalb der verdeckte Versuch, beim Dorfvorsteher mehr über ihn zu erfahren.
Wer steckte dahinter? Eine Polizeibehörde, ein Geheimdienst? Oder jemand, der privat eine Rechnung begleichen wollte? Er fragte sich, was sie wussten. Seine Legende war sorgfältig konstruiert, Nicolá Martin ein solider Charakter, der einer eingehenden Überprüfung standhalten konnte. Ein vager Verdacht würde wohl abzulenken sein. Doch was, wenn sie über diesen Punkt schon hinaus waren? Wenn es nur noch darum ging, die Rahmenbedingungen für einen Schlag festzulegen?
Die oberste Regel in so einer Situation lautete, in Bewegung zu bleiben. Gleichzeitig sollten seine unbekannten Gegenspieler nicht wissen, dass er Verdacht geschöpft hatte. Er musste verreisen, doch ohne ihren Argwohn zu erregen und sie damit womöglich zu überstürztem Handeln zu zwingen.
„Vielen Dank für Ihre Zeit“, sagte er mechanisch, während er vom Stuhl aufstand.
„Oh, keine Ursache“, versicherte der Mukhtar, „es war sehr vergnüglich, mit Ihnen zu plaudern. Ich hoffe, dass Sie mir bald wieder einmal die Ehre erweisen.“
„Sehr gern“, entgegnete Nikolaj. Er zögerte kurz. „Ich werde allerdings in den nächsten Wochen nicht zu Hause sein“, sagte er dann. „Wie Sie vielleicht wissen, interessiere ich mich für archäologische Stätten aus vorchristlicher Zeit. Ich habe bereits seit längerem eine Reise geplant, die ich nun endlich antreten werde.“
„Das ist ja wunderbar“, erwiderte Rabi’a. „Wohin reisen Sie denn?“
„Das hängt davon ab“, sagte Nikolaj. „Ich werde zunächst nach Tripoli reisen und dann weiter in Richtung Tyros. Danach – mal sehen.“
Der Mukhtar begleitete ihn bis zur Tür.
Natürlich würde er es unverzüglich seiner Frau erzählen, und heute Abend, beim Würfelspiel und einem Gläschen Arrak den anderen Männern im Dorf. Binnen eines Tages würde jeder in Hawqa wissen, dass Nicolá Martin es sich leisten konnte, nur zu seinem Vergnügen mehrere Wochen lang zu verreisen und heidnische Gräber zu besichtigen.
Nach seiner Rückkehr durchsuchte Nikolaj sein Haus erneut nach Abhörelektronik, diesmal noch sorgfältiger als beim ersten Mal. Auch sein Fahrzeug unterzog er einer gründlichen Überprüfung. Die Suche blieb erfolglos.
Vor Einbruch der Dunkelheit machte er einen ausgedehnten Spaziergang über das Plateau. Dabei hielt er Ausschau nach Zeichen von Überwachung, nach Divergenzen im gewohnten Bild. Er fand nichts, aber das minderte seine Nervosität keineswegs. Im Verlauf des Abends packte er seine Reisetasche. Er rief das Al Naour Hotel in Tripoli an und buchte ein Zimmer für fünf Tage auf den Namen Nicolá Martin.Das Al Naour war ein Traditionshaus, in dem wohlhabende Libanesen und europäische Besucher gleichermaßen abstiegen. Eine Unterkunft, die zu Nicolá Martin passte.
Danach ging er ins Atelier. Er schaltete das Licht ein und blieb auf der Schwelle stehen. Lange betrachtete er den Stapel abgedeckter Gemälde. Er zündete sich eine Zigarette an und rauchte in
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