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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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hatte er nicht gezweifelt, warum eigentlich hätten sie sie töten sollen? War es nicht ebenso gut möglich, dass sie in eines der Camps gebracht worden war, in denen Israel politische Gefangene festhielt? Vielleicht lag es daran, dass er nie wieder etwas von ihr gehört hatte. Aber er hatte auch keine Nachforschungen angestellt. Er hatte niemals versucht, ihre Spur aufzunehmen. Nach der Flucht aus Megiddo war er in Europa geblieben. Viele Jahre lang hatte er keinen Fuß mehr in den Nahen Osten gesetzt.
    Und wenn Carmen lebte, was war dann mit Rafiq? Rafiq, der so schnell Freundschaften schloss und der es verstand, Frauen mit seinem Charme um den Finger zu wickeln? Rafiq, den er mit einem Lungendurchschuss in der libanesischen Wüste zurückgelassen hatte. Die Vorstellung, plötzlich wieder greifbar vor seinen Augen, machte ihn fast wahnsinnig.
    Carmens Wagen blinkte und zog nach rechts, um sich dann in die Ausfahrtsspur einzuordnen.
    „Fahren Sie raus“, wies Nikolaj den Fahrer an. „Immer dem blauen Ford nach.“
    Carmen und der hellhaarige Mann hielten sich mehrere Stunden auf einer Baustelle auf.
    Später kehrten sie zurück in die Innenstadt, gingen in einem kleinen Lokal etwas essen und parkten den Wagen danach in der Tiefgarage eines Büroturms. Nikolaj verzichtete darauf, ihnen ins Innere des Gebäudes zu folgen. Er wies den Taxifahrer an, ein Stück entfernt zu warten.
    Irgendwann am späten Nachmittag tauchten Carmen und ihr Begleiter wieder auf. Sie brachte ihn zum Monroe-Hotel und verabschiedete sich dort von ihm. Nikolaj spürte eine Veränderung an sich selbst, während er sie beschattete. Er fühlte sich besser als in den letzten Tagen, seit er von Hawqa aufgebrochen war. Das mochte daran liegen, dass er plötzlich als Jäger agierte. Er war nicht länger eine Figur auf einem Spielbrett, er griff aktiv ins Geschehen ein.
    Als Carmen kurz vor sechs Uhr ihren Wagen in einer kleinen Straße im Viertel Manara parkte, waren seine Kopfschmerzen auf ein erträgliches Maß herabgesunken. Aus dem Taxi heraus beobachtete er, wie sie in einem Wohngebäude auf der gegenüberliegenden Seite verschwand.Er wartete zehn Minuten, dann bezahlte er den Fahrer und stieg aus. Das Haus war ein Neubau, sechs Stockwerke hoch, spiegelnde Glasflächen und komplex verschachtelte Balkone. Nikolaj studierte die Klingelschilder. Er registrierte zahlreiche ausländische Namen. Im oberen Drittel der Tafel fand er, wonach er gesucht hatte.
C. Arndt
, in Messing geprägt.
    Kurz nach Einbruch der Dunkelheit verließ Carmen erneut die Wohnung. Nikolaj beobachtete sie vom Fenster eines baufälligen Hauses auf der anderen Straßenseite. Im Verlauf des Tages war sein kühler Verstand zurückgekehrt, während der erste Schock ihrer Begegnung gleichzeitig abgeklungen war.
    Nachdem er ihren Namen auf dem Schild gelesen hatte, dachte er eine Zeitlang darüber nach, was er tun sollte. Einer ersten impulsiven Gefühlsregung folgend, wollte er einfach die Klingel betätigen. Dann klinkte sich die Vernunft ein, sein natürliches Misstrauen, das ihn immer am Leben erhalten hatte.
    Er war weitergegangen und hatte die umliegende Gegend erkundet. Dabei war er auf das leer stehende Gebäude gestoßen, dessen Rückseite durch eine Explosion zerstört war. Anstelle der Fenster und Türen gähnten leere Höhlen, das Treppenhaus war von Rissen durchzogen. Die Gegend spiegelte auf typische Weise die Umbruchphase, in der sich die ganze Stadt befand. Moderne Stahl-Glas-Bauten wechselten sich ab mit Baustellen und Ruinen, die noch darauf warteten, vom Schutt geräumt zu werden. Und dazwischen, wie vergessene Relikte, drängten sich die wenigen alten Häuser, die wie durch ein Wunder von Explosionen und Kugelhagel verschont geblieben waren.
    Carmen ging die Straße hinunter und bog in eine Quergasse ab. Dort gab es, wie Nikolaj inzwischen wusste, einen kleinen Laden, der Getränke, Obst und Tabak verkaufte. Nikolaj verließ seine Beobachterposition und bewegte sich über die geborstene Treppe nach unten ins Torhaus. Er baute darauf, dass sie nur Zigaretten holen und in ein paar Minuten zurückkommen würde. Direkt neben dem Torpfosten drückte er sich gegen die Wand, so die Straßenbeleuchtung ihn nicht erfasste.
    Absätze klapperten auf den Steinplatten, ein gleichmäßiges, lauter werdendes Stakkato. Sie benutzte seine Seite der Straße. Gut. Das machte es erheblich einfacher.
    Als sie in den gelblichen Lichtkreis der Straßenlaterne trat, tat er zwei

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