Das dunkle Fenster (German Edition)
überlegte, wie sie reagieren sollte. Sie beherrschte nicht mehr als ein paar Brocken Französisch.
„Sprechen Sie Arabisch?“
Der Mann nickte nur. Sein Verhalten war so unhöflich, dass es fast schon einen Affront darstellte. Gelangweilt lehnte er sich zurück und schenkte sich Tee ein.
„Mein Name ist Carmen Arndt“, versuchte sie einen letzten Vorstoß.
Er sah sie irritiert an. „Entschuldigen Sie bitte“, sagte er in deutlich französisch gefärbtem Arabisch, „woher sollten wir uns denn kennen?“
Er hatte sich vollkommen im Griff. Ganz anders als gestern Abend. Ihre Euphorie löste sich auf und sackte zusammen wie eine leere Hülle.
„Das ist lange her“, murmelte sie. „Ich dachte nur ...
„Sehen Sie“, unterbrach er sie triumphierend, „bis vor vier Jahren habe ich in Marseille gelebt.“ Seine Augen blitzten auf, plötzlich schien seine Laune umzuschlagen. „Kennen Sie Marseilles, Mademoiselle?“
Carmen schüttelte den Kopf.
„Das ist schade. Sie sollten dort einmal hinfahren, es ist eine faszinierende Stadt.“ Er griff nach der Zeitung neben sich und bedeutete ihr damit, dass er das Gespräch für beendet hielt.
„Tut mir leid“, stammelte sie, „ich wollte Sie wirklich nicht belästigen.“ Sie drehte sich um und floh zurück an ihren Tisch. Scheiße, dachte sie. Verdammte Scheiße. Sie hatte es versaut.
„Was ist passiert?“, fragte Alex.
Carmen lächelte verkrampft. „Er ist es“, sagte sie im Plauderton. „Hundertprozentig. Und er hat mich erkannt, da bin ich sicher. Aber er streitet es ab.“
„Wie machen wir weiter?“
„Wir trinken unseren Kaffee aus und spielen Theater.“ Sie vertiefte ihr Lächeln. „Vielleicht könnten wir uns noch ein paar Akten anschauen, bevor wir zu mir ins Büro fahren.“
„Du willst nichts mehr essen?“
„Mir ist der Appetit vergangen.“
Alex bückte sich nach seinem Aluminiumkoffer, den er neben dem Stuhl abgestellt hatte und zog einen Hefter heraus.
„Ist er noch da?“, fragte Carmen.
„Er studiert die Zeitung.“ Alex schlug die Unterlagen auf. Er fischte einen Stift aus seiner Hemdtasche und verteilte kleine Punkte auf dem Blatt.
„Du machst das sehr professionell.“
„Ich weiß“, murmelte er. „Und jetzt lass dir erklären, wie sich der Koeffizient für den verdammten Wärmedämmwert einer Fassade berechnet.“
Unmöglich, dachte Nikolaj. Das war unmöglich. Etwas lief hier falsch, aber er konnte es nicht greifen. Er fühlte sich wie ein Gefangener in einem Labyrinth aus Spiegelwänden.
Er löste zwei Aspirin in einem Glas Wasser auf und blätterte in der Zeitung, während er im Augenwinkel ihren Tisch im Blick behielt. Ihm entging ein entscheidendes Detail, davon war er überzeugt. Ein anderer Teil seines Bewusstseins registrierte, dass er schnell zurückfand in die alten Regeln. Er konnte seinen Instinkten noch trauen, die Reflexe waren intakt. Ganz wie beim Fahrradfahren. Es gab eben Dinge, die verlernte man nicht.
Als Carmen mit ihrem Begleiter das Restaurant verließ, folgte Nikolaj ihnen in einigem Abstand. Er wusste selbst nicht genau, warum er es tat, stellte aber sein Handeln keinen Moment in Frage. Er agierte völlig zielgerichtet.
Kurz überlegte er, ob es einen Zusammenhang geben konnte. Zwischen den Geschehnissen, die ihn nach Beirut gebracht hatten und dem Auftauchen dieser Frau, die behauptete, Carmen zu sein.
Doch egal, wie er die Linien zog, es fand sich keine sinnvolle Verbindung. Das eine ließ sich aus dem anderen nicht ableiten. Während er in ein Taxi stieg und den Fahrer bat, Carmens Wagen zu folgen, dachte er darüber nach, welche Möglichkeit mehr Sinn ergab. Die, dass es tatsächlich Carmen war? Oder dass eine Frau, die ihr zum Verwechseln ähnlich sah, sich für Carmen Arndt ausgab? Um was zu erreichen? Wenn jemand diese Frau auf ihn angesetzt hatte, musste er um die damaligen Ereignisse wissen und um die Beziehung, die zwischen ihm und Carmen bestanden hatte. Doch wer sollte das sein? Kaum jemand, der sich für Fabio interessierte oder für Nico Delani. Und davor? Ein Vorher gab es nicht. Die Vergangenheit war ausgelöscht, alle Spuren getilgt, es existierte keine Verbindung mehr.
Sie folgten dem Wagen auf die Schnellstraße in Richtung Osten. Nikolaj bat den Fahrer, mehr Abstand zu halten.
Er konnte den Grund nicht benennen, aber all die Jahre war er davon ausgegangen, dass sie tot war. Weshalb hatte er das nie hinterfragt? Wenn die Israelis sie gefasst hatten, und daran
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