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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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die Buchrücken. Ein paar Bildbände, ein Dutzend Taschenbücher, die meisten davon in englischer Sprache. Ein paar Fachbücher über Tragwerkslehre und Konstruktion. Und Antoine de Saint-Exupéry, der kleine Prinz in einer deutschsprachigen Ausgabe mit abgegriffenen Ecken. Das Buch stand nicht ordentlich in der Reihe mit den anderen, sondern lag flach im Regal. Sein Unbehagen wurde stärker, wie eine Magenverstimmung, die sich allmählich in Übelkeit verwandelt. Die höfliche Konversation wirkte als Katalysator, der Dinge ans Licht zerrte, die er vor langer Zeit begraben hatte. Ihm schien, dass sie über Nichtigkeiten sprachen, über Staub im Wind.
    „Was machst du hier in Beirut?“, fragte sie. „Lebst du in der Stadt?“ Er schüttelte den Kopf. Langsam drehte er sich um. „Besuchst du jemanden? Oder bist du geschäftlich hier?“
    „Nein.“ Nikolaj machte einen Schritt auf sie zu. „Nein, ich mache Urlaub.“
    „Urlaub?“ Carmen verzog die Lippen zu einem ungläubigen Lächeln. „Und was treibst du, wenn du gerade nicht im Urlaub bist? Also beruflich, meine ich.“
    „Verschiedenes.“ Mein Gott, warum hatte er sich darauf eingelassen? Warum war er nicht einfach seinem ersten Impuls gefolgt und hatte das Weite gesucht, um möglichst viele Kilometer zwischen sich und diese Stadt zu bringen? Er hätte zum Airport fahren und den nächsten Flug nach Athen nehmen können, eine ernsthafte Option. Warum musste er stattdessen diese Begegnung provozieren? Weil er neugierig war, gestand er sich ein. Weil er Fragen hatte, auf die nur sie eine Antwort wusste. Weil er vor diesen Fragen nicht wieder davonlaufen wollte.
    „Verschiedenes“, wiederholte sie spöttisch. „Klingt aufregend.“
    Nikolaj schwieg eine Weile. Sein Mund war trocken. Er blickte auf und sah ihr forschend ins Gesicht. „Was ist mit Rafiq?“
    Sie stellte das Teeglas mit einer heftigen Bewegung auf der Tischplatte ab. Das Klappern schnitt überlaut in die Stille. Sie starrte ihn an, ihre Miene ausdruckslos.
    „Er ist tot“, sagte sie nach einer Pause. „Setz dich hin, bitte. Es macht mich nervös, wie du dort stehst.“
    Diesmal folgte er ihrer Aufforderung. Er ließ sich auf den cremefarbenen Lederpolstern nieder.
    „Was ist damals passiert?“, fragte sie. Ihre Stimme klang dünn. „Warum bis du nicht zurückgekommen?“
    Nikolaj schüttelte den Kopf, eine Geste der Hilflosigkeit. Er setzte zu einer Antwort an, doch in diesem Moment schellte die Türklingel. Der Klingelton riss ein Loch in das empfindliche Schweigen. Carmen fuhr leicht zusammen, über ihrer Nasenwurzel bildete sich eine Falte.
    „Erwartest du jemanden?“, fragte Nikolaj.
    „Eigentlich nicht.“ Sie stand vom Sessel auf und ging zur Tür. Er hörte, wie sie die Kette einhakte.
    Dann ein Krachen, ein abgehackter Ausruf. Schnelle Schritte im Flur und das Knirschen von Holz auf Stein. Jemand verschaffte sich gewaltsam Zugang zur Wohnung. Mit einem Ruck war er auf den Beinen und drehte sich halb zur Fensterwand. Im gleichen Augenblick tauchte der erste Eindringling in der Tür auf, ein europäisch aussehender Mann mit kurz getrimmtem Haar. Nikolaj registrierte die Pistole in seiner Hand, den aufgeschraubten Schalldämpfer. Er warf sich zur Seite, Kugeln fetzten Putz und Tapete von der Wand. Korditgestank breitete sich im Raum aus. Aus dem Flur drangen weitere Stimmen.
    Scheiße.
    Gebückt hechtete er auf den Schützen zu. Er umklammerte ihn auf Höhe der Taille und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Seine zweite Hand rammte er seitlich gegen die Waffe und stieß sie nach oben. Noch mehr Geschosse gruben sich in die Decke. Er hebelte den Mann aus und brachte ihn zu Fall. Sie stürzten beide, der Europäer wehrte sich heftig, als Nikolaj versuchte, ihm die Waffe zu entreißen. Aus dem Augenwinkel erfasste Nikolaj zwei weitere Männer, die ins Wohnzimmer drängten. Mit einem Ruck entwand er seinem Kontrahenten die Pistole, wälzte sich auf den Rücken und feuerte blind in Richtung Tür.
    Einer der beiden Eindringlinge wurde von der Wucht der Einschläge gegen den Rahmen geschleudert. Der andere, ein blasser rotblonder Typ, wich sofort zurück in den Flur. Er brüllte etwas Unverständliches, die Worte klangen fremd und abgehackt. Nikolaj vollendete seine Drehung. Der Kerl, dem er die Waffe entrissen hatte, kam auf die Knie. Nikolaj zog die Pistole hoch, richtete sie auf die Kehle des Mannes und drückte den Abzug durch. Blut spritzte warm gegen sein Gesicht. Es sickerte in

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