Das dunkle Fenster (German Edition)
den Boden sinken. Noch immer war niemand zu sehen.
Zentimeterweise schob er sich vorwärts. Wenn dort wirklich jemand hockte, dann ahnte er vermutlich noch nicht, dass er entdeckt worden war. Nikolaj hatte das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Und das würde er auch brauchen. Er war nicht in der physischen Verfassung für einen Kampf Mann gegen Mann.
Ein Ast brach, so dicht neben ihm, dass er zusammenschrak. Zuerst glaubte er, dass er selbst das Knacken verursacht hatte. Doch dann hörte er noch etwas anderes, ein leises Schnaufen. Er drehte den Kopf und erkannte, dass nur ein paar Zweige ihn von dem anderen Mann trennten. Nikolaj verharrte regungslos. Er spürte, wie Adrenalin in seine Adern schoss. Der andere hatte ihn nicht bemerkt. Hoffte er.
Da war eine Bewegung in den Sträuchern. Der Mann veränderte seine Position. Nikolaj sah die Konturen seines Rückens, seinen Hinterkopf. Er wartete.
War der Kerl allein? Oder gehörte er zu einem größeren Überwachungsteam? Wahrscheinlich letzteres. Eine Observierung wurde eigentlich von mindestens zwei Leuten durchgeführt. Das hatte allein schon den praktischen Grund, dass man sich in der Beobachtung des Objekts abwechseln konnte.
Es tat sich nichts. Der Mann hockte unbeweglich auf seinem Posten. Ab und zu verlagerte er sein Gewicht ein wenig. Nikolajs Muskeln begannen sich zu verkrampfen. Er traf eine Entscheidung. Mit der rechten, unverletzten Hand zog er die Waffe aus dem Hosenbund und entsicherte sie. In einer glatten Bewegung wälzte er sich herum, kam auf die Beine und legte von hinten den Arm um die Kehle des Mannes. Er presste die Waffe gegen seine Schläfe.
„Bleib ruhig, wenn du leben willst.“
Der Mann erstarrte.
Nikolaj war jetzt froh über den Schalldämpfer auf seiner Pistole, der seine psychologische Wirkung nicht verfehlte. Der Mann war ein Profi, er wusste, was das bedeutete. Jemand, der so ausgerüstet war, hatte keine Hemmungen, auch abzudrücken, er rechnete sogar damit, die Waffe benutzen zu müssen.
„Wie heißt du?“, fragte Nikolaj.
„Sami“, murmelte der Mann. „Ich heiße Sami.“
„Gut, Sami. Dann erkläre ich dir jetzt die Regeln.“
27 Beirut | Libanon.
Das Handy klingelte. Rafiq warf einen Blick zur Badezimmertür, die Katzenbaum gerade hinter sich geschlossen hatte. Er griff nach dem Telefon und drückte die grüne Taste.
„Ja?“
„Er ist hier“, stieß der Anrufer hastig hervor. Seine Stimme klang gepresst und leise.
„Tal?“
„Ja, ich bin’s.“ Tal sprach so schnell, dass Rafiq ihn kaum verstehen konnte. „Und er hat Sami. Was soll ich machen? Soll ich versuchen ihn zu erschießen?“
„Was?“ Rafiq kniff die Augen zusammen, er spürte, wie sein Pulsschlag sich beschleunigte. „Was ist mir dir? Hat er dich entdeckt?“
„Nein“, versicherte Tal. „Ich glaube, er weiß nicht, dass ich da bin. Er geht jetzt zum Haus.“ Seine Stimme wurde noch leiser. „Ich weiß nicht, was mit Sami ist. Kann sein, dass er ihn umgelegt hat.“
„Ist Carmen bei ihm?“
Im Bad rauschte die Toilettenspülung. Einen Moment später kam Katzenbaum zurück ins Wohnzimmer.
„Nein. Keine Ahnung. Ich habe sie nicht gesehen. Ich weiß nicht, wo der Kerl plötzlich herkam. Ist einfach aus dem Nichts aufgetaucht.“ Die Verbindung knackte, Rauschen überlagerte den letzten Teil des Satzes.
„Tal? Bist du noch da?“
„Ja. Was soll ich jetzt machen?“
„Warte“, bat Rafiq. Er sah Lev an. „Fedorow ist in Hawqa“, erklärte er. „Tal sagt, dass er Sami außer Gefecht gesetzt hat und sich jetzt dem Haus nähert. Er will wissen, ob er was unternehmen soll.“
Katzenbaum schüttelte den Kopf. Er streckte die Hand nach dem Telefon aus.
„Tal?“, fragte er. „Okay, bleib, wo du bist und rühr’ dich nicht. Verhalte dich ruhig. Und gib Bescheid, wenn er wieder abhaut oder wenn sich sonst irgendwas tut.“ Er nahm das Handy vom Ohr und beendete das Gespräch. Dann sah er Rafiq an. „Wie groß ist denn deine Freundschaft mit diesem Mukhbahrat-Mann?“
„Du meinst, die Syrer sollen sich darum kümmern?“
„Siehst du eine Möglichkeit, rechtzeitig nach Hawqa zu kommen?“
Rafiq schüttelte den Kopf. „Ich rufe ihn an.“ Er fuhr sich durch die Locken, eine fahrige Geste. „Das wird uns ein Vermögen kosten.“
28 Wadi Qadisha | Libanon
Der Israeli war eine Zeitlang außer Gefecht gesetzt. Nikolaj hatte kurz darüber nachgedacht, ihn zu töten, hatte dann aber anders entschieden und ihn
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