Das dunkle Fenster (German Edition)
Stimme.
Katzenbaum legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Beruhige dich erst mal.“
Rafiq schüttelte die Berührung ab. „Es geht ihr schlecht.“
„Ich kann da nichts machen“, sagte Katzenbaum. Er lehnte an der weißgetünchten Wand und sah auf Rafiq hinab, der sich auf den Boden hatte sinken lassen. „Sie untersteht nicht meinem Einflussbereich.“
„Sie sagte, es würde bei mir liegen, ob sie ihr etwas antun oder nicht. Was hat sie damit gemeint?“
Katzenbaum machte einen Schritt in den Raum und setzte sich auf den Stuhl, die Arme auf die Rücklehne gestützt. Er zögerte. Rafiq sah, dass es in seinem Gesicht arbeitete. Der Israeli wollte etwas sagen, wusste aber nicht, wie er es ausdrücken sollte.
„Es gibt da eine Sache“, murmelte Katzenbaum endlich. „Nur so eine Überlegung, aber die wird dir nicht gefallen.“
„Was?“
„Ich habe ihnen gesagt, dass du dich wahrscheinlich nicht darauf einlassen wirst. Weil es gegen deine Prinzipien verstößt.“
Rafiq schüttelte den Kopf. „Wovon redest du eigentlich?“
„Von einer Vereinbarung.“ Katzenbaum lehnte sich ein Stück vor. „Wir brauchen Verbündete auf der anderen Seite. Leute, denen wir vertrauen können.“
„Ihr braucht Verräter.“
„Siehst du, das habe ich ihnen gesagt. Du hast strenge Prinzipien. Du wirst dich nicht darauf einlassen.“
„Warte“, stieß Rafiq hervor. Seine Gedanken überschlugen sich. „Wie läuft so was ab?“
Er sah einen Strohhalm, den Hauch einer Möglichkeit. Prinzipien? Nichts als Hohn. Es war alles eine Frage der Verhältnismäßigkeit. War es legitim, Prinzipien mit dem Leben zu bezahlen? Wer hatte das Recht auf seiner Seite? Es hing immer davon ab, an welcher Front man kämpfte.
„Eigentlich“, sagte Katzenbaum, „ist es ganz einfach.“
32 Hermel | Libanon, Gegenwart
Nikolaj spürte, dass sich etwas verändert hatte. Vielleicht war es eine Folge der Erschöpfung, vielleicht hatte sie auch einfach innerlich aufgegeben. Carmen schien vollkommen willenlos. Sie war nicht in der Lage, sich zu waschen oder etwas zu essen. Obwohl sie bei Bewusstsein war, reagierte sie kaum, als er mit ihr zu sprechen versuchte.
Sie hatten sich in einem kleinen Motel am Rande von Hermel einquartiert, einer einfachen Touristenanlage, die nach dem Vorbild amerikanischer Drive-Ins gebaut war. Die Zimmer befanden sich in einem flachen, lang gezogenen Gebäude und waren direkt vom Parkplatz aus zugänglich.
Nikolaj hatte Carmen auf das Doppelbett gelegt, die Vorhänge zugezogen und den Fernseher eingeschaltet. Sie beobachtete ihn unter halb geschlossenen Lidern, während er Lebensmittel und Kleidung auspackte. Er spürte ihre Blicke in seinem Rücken, als er ins Bad ging, um sich Hände und Gesicht zu waschen. Danach ließ er sich neben ihr aufs Bett sinken und sah sie an. Ihr Gesicht war noch immer mit Schlieren aus Blut, Staub und Tränen verschmiert. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. Die kleine Schnittwunde, die er ihr am Kinn zugefügt hatte, sah rot und entzündet aus.
„Es tut mir leid“, sagte er.
Seine eigenen Worte kamen ihm verlogen vor. Natürlich tat es ihm nicht leid. Er hatte für sein Tun gute Gründe gehabt.
Carmen antwortete nicht.
„Willst du duschen? Es gibt heißes Wasser.“
Sie schloss die Augen.
„Und du musst etwas essen.“ Er betrachtete die violett verfärbten Würgemale an ihrem Hals. Plötzlich verabscheute er sich selbst. Das, was er getan hatte, was er wieder tun würde. Das, was er war.
„Komm, ich helfe dir.“
Sie wehrte sich nicht, als er sie erneut hochhob. Wie ein Kind trug er sie in das kleine Badezimmer. Mit dem Fuß breitete er ein Handtuch auf den Fliesen aus und setzte sie auf dem Boden ab.
„Ich bin so müde.“ Ihre Stimme brach.
Nikolaj kniete sich vor sie. „Willst du“, fragte er zögernd, „dass ich dir beim Ausziehen helfe?“
Sie öffnete die Augen einen kleinen Spalt, sagte aber nichts. Nikolaj nahm es als Zustimmung. Er streifte ihr die Bluse vom Körper, dann den Rock, der an der Seitennaht aufgerissen war. Ihre Knöchel waren von einem Geflecht schorfiger Kratzer überzogen. Das hatte er zuvor gar nicht bemerkt. Ihr rechtes Knie war geschwollen und hatte sich dunkel verfärbt. Der Sturz vom Balkon.
Leichte Übelkeit stieg in ihm auf, das Gefühl von Schuld verengte seine Kehle. Behutsam setzte er sie in die Wanne. Er stellte das Wasser an, nahm einen Waschlappen und begann sie zu baden wie ein verletztes Kind.
Flüchtig
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