Das dunkle Haus: Kriminalroman (Ein Erik-Winter-Krimi) (German Edition)
würde bald in die Erde kommen, Gottes geweihte Erde, rot, nicht gerade ihre Lieblingsfarbe, vor allen Dingen nicht auf Wahlplakaten. Mutter. Wer ist wohl wie du.
Er stand auf, um den Gedanken ein Ende zu machen, sie verstärkten den Scheiß in seinem Kopf, jetzt, nach dem brüllenden Meer, das Dröhnen einer Autobahn. Vor ein paar Wochen war er an einem Schild hinter Shell auf der Bangatan vorbeigefahren, auf dem stand »Schwedischer Tinnitusverbund«, das Rauschen war sofort lauter geworden, solche verdammten Schilder gehörten verboten, er war keiner von denen, würde nie einer von ihnen werden, er würde niemals hingehen, es musste von selbst aufhören.
Er hob die Flasche an, sie war noch nicht leer. Er hatte nicht viel getrunken, es war ja noch früh, noch nicht einmal drei, Coltrane rief ihm etwas durch den Raum zu, er verstand es nicht, in seinem Kopf war zu viel Lärm, Mutter schrie etwas, Angela, die Kinder, die anderen Kinder, sie schrien. Er schenkte sich ein, kein Getue mit Fingerbreiten, nur ein kleiner Schluck, des Geschmacks wegen, er lachte auf, das war die richtige Bezeichnung.
Coltrane sprach mit ihm, aber sein sogenannter Tinnitus verwehrte ihm die Botschaft. Er ging zur Musikanlage und stellte sie lauter, lauter, lauter, jetzt war es besser, es war viel besser, so sollte es sein, er hatte noch nie die Leistung seiner Anlage in voller Lautstärke ausgetestet wie jetzt, phänomenal gut der Ton, laut und rein und klar, der fegte alles andere beiseite, er setzte sich in den Sessel und trank und hörte zu, es war einzigartig, er hatte noch nie gewagt, Coltranes Tenorsaxophon in dieser Lautstärke zu hören, er lehnte sich zurück, schloss die Augen und dachte darüber nach, was morgen passieren würde, dass er näher kommen würde denn je, dass er es erfahren würde, dass mehr passieren würde, etwas genauso Starkes wie das, was er jetzt erlebte. Er lauschte. Es verschwand, kehrte zurück, verschwand wieder. Da war etwas … etwas anderes, das geradewegs durch die Musik drang. Es war ein neuer Takt, als würde Elvin Jones plötzlich etwas ganz anderes spielen, oder als ob auf übernatürliche Weise plötzlich ein Schlagzeuger im Studio aufgetaucht wäre. Er stand auf, kein Problem, in der Musik war jetzt ein anderer Rhythmus, ein Idiotenrhythmus, bonk bonk bonk , das gehörte nicht in die Musik, es kam aus einem anderen Raum, er schritt das Wohnzimmer ab, aber hier war es nicht, es kam nicht von der Straße, er ging in den Flur und der Rhythmus wurde immer stärker und härter, es kam von der Wohnungstür, er ging langsam darauf zu, jemand wollte herein, bonk bonk bonk , jetzt hörte er ein Klingelsignal durch das Hämmern, wer zum Teufel wollte um vier Uhr morgens bei Leuten eindringen, er hatte die Uhrzeit kontrolliert, das sollte man immer tun, sollte das Gewaltsame jetzt eintreten, das, was er vorausgesehen hatte, das, von dem er wusste, dass es kommen würde.
Er stand vor der geschlossenen Tür. Auf der anderen Seite sagte jemand etwas zu einer anderen Person. Demnach waren es zwei. Er hatte die ganze Zeit gewusst, dass es zwei waren.
»JA?«, schrie er durch die Tür.
Das Hämmern hörte auf.
» WAS IST LOS ?«, rief er jetzt etwas leiser.
»Wer ist da?«, hörte er eine Stimme durch die Tür.
»WAS?«, rief er.
»Wer ist da drin?«, fragte eine männliche Stimme vor der Tür. Wie merkwürdig.
» ERIK WINTER !«, rief er. »Hier ist Erik Winter«, sagte er etwas leiser.
»Würden Sie bitte die Tür öffnen?«
»Warum?«
»Bitte öffnen Sie die Tür.«
Er hatte keinen Spion in der Tür, sie hatten es versäumt, einen einbauen zu lassen, als sie umgezogen waren. Aber verdammt, natürlich kann ich die Tür öffnen, warum soll ich nicht meine eigene Tür öffnen, mal sehen, was für Schelme sich in der Wolfsstunde angeschlichen haben.
Er riss die Tür weit auf.
Davor standen zwei Uniformierte, ein Mann und eine Frau. Sie sahen nicht aus, als hätten sie sich verkleidet. Sie kamen ihm vage bekannt vor.
»Werde ich erkannt?«, fragte er. »Ich heiße Erik Winter.«
»Ja … entschuldigen Sie«, sagte Polizeiinspektor Vedran Ivankovic, »wir haben mehrere Anrufe bekommen wegen … störender Musik aus dieser Wohnung.«
»Störende Musik? Mensch, das ist doch John Coltrane!«
»Aber viel zu laut«, sagte Polizeiinspektorin Paula Nykvist. »Sehr, sehr laut. Und es ist bald vier Uhr morgens.«
»Halb vier«, sagte Winter.
»Trotzdem«, sagte sie.
»Ich arbeite«, sagte
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