Das dunkle Herz Kashas
magiekundigen Stämmen konnte sich glücklich darüber schätzen, dass Machtgier den Schatten offenbar völlig fremd war und sie keinerlei Interesse an den anderen Stämmen Mendovars hatten! Welch schreckliche Gegner wären diese Wesen... Alle Kriegskunst und alle Gunst der Götter konnte gegen einen solchen Gegner nichts ausrichten. Ich erschrak über diesen Gedanken. Erst so kurze Zeit war ich aus dem Heiligtum des Gottes fort und schon zweifelte ich an dessen Macht und Einfluss?
Xerus musste bemerkt haben, dass mich etwas beunruhigte. „Was beschäftigt dich?“ fragte er mit einem Blick, der mir bis in die Tiefen meines Wesens zu schauen schien.
„Ich musste daran denken, dass selbst die Unterstützung der Götter uns nicht retten würde, sollten die Schatten jemals das Bedürfnis verspüren, sich Kasha untertan zu machen“, gab ich zögernd zu.
„Das werden sie nicht“, versicherte Xerus ohne den geringsten Hauch eines Zweifels. „Die anderen Gebiete sind für die Schatten unbrauchbar. Und sie sind auch ohne Länder die sie beherrschen so mächtig, dass sie einer solchen Bestätigung ihrer Überlegenheit nicht bedürfen. So wie ich sie einschätze und nach allem, was ich über sie gehört habe, sind sie zudem zutiefst friedliche und genügsame Wesen. Doch ich ahne, dass es nicht das ist, was dir Unbehagen bereitet. Ich nehme an, es ist im Heiligtum eures Gottes nicht üblich, an dessen Allmacht zu zweifeln?“
„Das ist zutreffend.“ Meine Stimme klang seltsam rau und brüchig. Ich schämte mich für mein fehlendes Vertrauen in den Gott, dem zu dienen meine Bestimmung gewesen war.
„Es mag dir kein Trost sein, doch ich versichere dir, dass ich dich für deine Zweifel nicht verurteile oder verachte. Allerdings glaube ich auch nicht an all die Gottheiten Kashas. Meiner Ansicht nach sind all die Rituale und Regeln die sich die Kasha auferlegen nur dazu da, ihnen ein falsches Gefühl der Sicherheit zu geben und sie zu kontrollieren.“ Xerus machte eine entschuldigende Geste. „Bitte verzeih mir, wenn ich mit meiner Haltung deine Gefühle oder deinen Glauben verletze, aber ich habe den Eindruck, dass all die Heiligtümer und Opfer die Kasha davon ablenken sollen, dass es in Kasha keine Freiheit gibt. Die Orakel bestimmen darüber, welchen Lebensweg ein Kind beschreitet. Ob dies den Fähigkeiten und Neigungen des Kindes gerecht wird oder nicht, danach fragt niemand.“
„Und das sagt ein Mann, der von einem Fluch gebunden ist?“ fragte ich sanft.
Xerus nickte nachdrücklich. „Gerade weil auch ich in meinen Entscheidungen eingeschränkt bin, kann ich es nicht gutheißen, wie die Kasha sich mit ihrem Glauben selbst in Fesseln legen.“
„Du zählst dich selbst nicht zu den Kasha?“ Dies überraschte mich.
„Nein.“ Xerus strich sich eine nachtschwarze Strähne aus dem Gesicht, die sich aus seinem Zopf gelöst hatte. „Ich bin kein Kasha. Die Kasha haben mich nie als einen der Ihren behandelt. Im Grunde bin ich ein Teil der Nebelwälder, so wie die Bashra und Bashralja und all die anderen Kreaturen Teil des Kernlandes sind.“ Er lachte, doch ich meinte, einen Hauch der Bitterkeit in seinem Lachen zu hören. „Ich hoffe, es irritiert dich nicht, dass ich mich zu den Kreaturen und nicht zu den Kasha zähle...“
Im Grunde gehörte ich als Ausgestoßene ebenso wenig in die Gesellschaft der Kasha wie Xerus. Wie sollte ich also über ihn urteilen. Ob auch er eine Art Ausgestoßener war? Oder hatte er seine Einsamkeit selbst gewählt? Noch wagte ich nicht, diese Frage zu stellen. Stattdessen erkundigte ich mich: „Woran glaubst du, wenn du nicht an die Götter Kashas glaubst?“
„Ich glaube daran, dass jeder selbst die Verantwortung für sein Handeln und seine Entscheidungen trägt. Ich denke, dass jeder sich so verhalten sollte, dass er es mit dem eigenen Gewissen vereinbaren kann. Ich meine, dass man sich nicht hinter Regeln und Riten verstecken sollte. Ich bin überzeugt, dass man anderen Lebewesen mit Achtung und Wertschätzung begegnen sollte. Ich bin bemüht, nicht das Leben eines anderen Lebewesens zu beenden, um mein eigenes zu bewahren. Reicht dir das als Antwort?“ Xerus lächelte. „Oder war das mehr als du über mich wissen wolltest?“
Es ist nur ein Bruchteil davon, was ich wissen möchte , dachte ich insgeheim. Laut sagte ich: „Ich danke dir für deine Offenheit.“
„Ich kann dir nicht versprechen, dass ich all deine Fragen so offen beantworten werde; doch für meine
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