Das dunkle Herz Kashas
gehören, das die Nebelwälder zu bieten haben.“
Ich nahm die Frucht entgegen und biss trotz ihrer wenig ansprechenden Farbe hinein während Xerus mir mit erwartungsvoller Miene zusah. Zunächst schmeckte die Frucht nach fast nichts. Ihr Fleisch war fest und knackig. Doch nachdem ich das Fruchtfleisch zerkaut hatte, breitete sich ein wundervoller süßlich-säuerlicher Geschmack in meinem Mund aus. Ein Geschmack wie ich ihn so intensiv noch nie gekostet hatte.
„Ist die Korbakfrucht nach deinem Geschmack?“ erkundigte mein Begleiter sich.
„Du hast nicht zu viel versprochen“, erwiderte ich. „Sie ist wahrhaft köstlich. Erstaunlich, dass in diesen Wäldern, die so wenig Sonnenschein erreicht, eine so süße Frucht wachsen kann.“
Sichtlich erfreut, dass es mir so gut schmeckte, entgegnete Xerus: „Wie man es nimmt... Da, wo diese Früchte wachsen, gibt es durchaus reichlich Sonne. Zumindest jetzt im Sommer.“
„Ist es denn nicht überall im Kernland so nebelverhangen wie hier?“ fragte ich überrascht.
„Doch, das ist es.“
Xerus jungenhaftes Grinsen erinnerte mich an meinen kleinen Bruder. Für einen Moment musste ich daran denken, dass ich ihn nicht mehr gesehen hatte, seit ich im Alter von sieben Wintern ins Heiligtum des Gottes gekommen war. Was wohl aus ihm geworden war? Seine Orakelzeremonie hatte ich schon nicht mehr miterleben dürfen. Wenn ich ihm überhaupt jemals wieder begegnen würde, würde ich ihn vermutlich gar nicht mehr erkennen... Andererseits war es ein Segen, dass den Dienerinnen der Götter jeder Kontakt zu ihren Familien untersagt war. So würden mein Vater und meine Mutter wenigstens nie erfahren, dass ich in Schande aus dem Heiligtum gejagt worden war. Sie konnten in dem Glauben ihren letzten Weg antreten, dass ich noch immer zu Ehren des Gottes dort lebte. Ich schob den Gedanken an die, die ich in meiner Geburtsstadt zurückgelassen hatte, fort und nahm erst jetzt bewusst war, was Xerus gesagt hatte. Verständnislos sah ich ihn an. „Aber wie kann denn Sonnenlicht zu den Früchten eines Baumes gelangen, der inmitten der Nebel wächst?“
„Die Nebel sind ein Teil des Fluches“, erklärte Xerus. „Ein Grund, weshalb es in den Nebelwäldern so viele riesige Bäume gibt, ist, dass die Nebel um so weniger dicht sind, je weiter man sich vom Waldboden entfernt. Oberhalb der Nebelgrenze ist es in den Nebelwäldern ebenso sonnig oder wolkenverhangen wie im Rest Kashas. Vielleicht ist der Schatten, der das Kernland verfluchte, davon ausgegangen, dass seine Nachkommen mit der Magie der Schatten auch ihre Empfindlichkeit gegen Licht geerbt haben.“
„Und diese Früchte wachsen oberhalb der Nebelgrenze und fallen herab, wenn sie reif sind?“ Was Xerus mir über die Nebelwälder berichtete, versetzte mich immer wieder in Erstaunen.
„Nicht ganz.“ Wieder dieses verschmitzte Grinsen. „Wenn die Früchte herabfallen, schmecken sie nur noch halb so gut. Dann sind sie längst überreif.“
„Warte, du bist doch nicht etwa auf einen dieser riesigen Bäume geklettert? Bis über die Nebelgrenze...“ Ich sah ihn entgeistert an.
„Genau das.“ Xerus lachte leise. „Aber keine Sorge. Die Korbakbäume haben weitverzweigte und äußerst stabile Äste. Ich bin sicher, dass du ebenfalls bis zu ihren Früchten hinaufklettern kannst. Es ist fast so, als steige man eine Leiter hinauf.“
„Meinst du wirklich, dass ich auf einen solchen Baum klettern könnte?“ Meine Neugier war geweckt. Bestimmt war die Aussicht von dort oben die Strapazen wert!
Xerus nickte. „Allerdings nicht heute. Lass uns hier rasten bis die Monde weitere zwei Male die Sonne abgelöst haben. Dann solltest du wieder bei Kräften sein - und ich werde dich mit Freuden zu einem der Korbakbäume führen.“
„Abgemacht“, stimmte ich zu. Dann fiel mir meine Frage von zuvor wieder ein. Ich beschloss, sie ihm zu stellen – immerhin hatte er mir die ausdrückliche Erlaubnis erteilt, ihm jede Frage zu stellen, die mir in den Sinn kam. Ob ich eine Antwort erhalten würde, würde sich dann zeigen. „Garrok hatte offensichtlich Angst vor dir. Warum ist das so?“
Xerus dachte einige Augenblicke nach, ehe er antwortete. „Wie du bereits weißt, fließt auch Grugandarblut in meinen Adern. Ich habe einen Teil meines Lebens in Garroks Dorf zugebracht, da meine Mutter der Ansicht war, dass ich auch diesen Teil meines Erbes kennen sollte. Vermutlich hegte sie die Hoffnung, dass es mir helfen würde, mehr Kontrolle
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