Das dunkle Labyrinth: Roman
zur Gewohnheit werden lassen, sonst muss man sie einsperren.«
»Ich denke, ich bekomme das gut in den Griff«, versicherte ihm Hester in scharfem Ton. »Sie scheint jetzt zu schlafen. Die Diener werden uns zur Hand gehen. Danke für Ihre Hilfe. Gute Nacht.« Sie war wütend, verlegen und jetzt, da es vorbei war, sehr besorgt. Wie, um alles in der Welt, sollte sie das Morgan Applegate erklären? Argyll hatte es bereits gesagt: Seine politische Karriere würde sich nie wieder von diesem Skandal erholen. Auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte würden sich die Leute das Maul darüber zerreißen.
Die Rückfahrt war schrecklich, doch nicht weil Rose irgendetwas tat, sondern weil Hester sich ausmalte, was sie noch alles anstellen konnte. Sie jagten im strömenden Regen durch die Straßen, und weil sie viel zu schnell fuhren, geriet die Droschke bedenklich ins Schwanken. Der Kutscher befürchtete offenbar, dass Rose krank sei und so schnell wie möglich nach Hause gebracht werden müsse.
Hester graute schon vor Applegates Reaktion. Als Rose sie beide vor dem Aufbruch kurz allein gelassen hatte, hatte keiner von ihnen etwas gesagt, aber in der Erinnerung kam es ihr so vor, als hätte er Rose ihrer Obhut anvertraut. Von Anfang an war Hester etwas Beschützendes an ihm aufgefallen, als wisse er um eine besondere Verwundbarkeit seiner Frau, über die er nicht mit anderen sprechen konnte. Hester hatte auf einmal das Gefühl, alle beide fürchterlich im Stich gelassen zu haben.
Allerdings hatte sie immer noch keine Ahnung, wie es überhaupt so weit gekommen war.
Die Kutsche blieb abrupt stehen, doch Rose schien davon nicht aufzuwachen. Draußen ertönten Rufe, Lichter näherten sich, dann wurde die Tür geöffnet, und ein Page schaute herein. Ohne Hester eines Blickes zu würdigen, nahm er Rose behutsam in die Arme und trug sie durch die Remise und die Hintertür ins Haus.
Der Kutscher half Hester beim Aussteigen und führte sie über den Hof ebenfalls zum Dienstboteneingang. Ihre Röcke waren an den Knöcheln durchnässt. Ihre Haare und Schultern waren ebenfalls nass. Beim Verlassen der Gedenkveranstaltung war sie erst gar nicht auf die Idee gekommen, nach ihrem – oder vielmehr Roses – Umhang zu schicken.
Erst in der behaglich warmen Küche merkte sie, wie kalt ihr war. Die Füße waren taub, sie zitterte am ganzen Leib, und im Kopf spürte sie ein Pochen, als wäre sie diejenige gewesen, die zu viel getrunken hatte.
Die Köchin bekam Mitleid mit ihr und brühte ihr einen hei ßen Tee auf, ohne ihr allerdings Gebäck oder eine Scheibe Brot zu reichen.
Es dauerte eine halbe Stunde, bis Morgan Applegate in der Küche erschien. Er war in Hemdsärmeln, sein Gesicht war gerötet, um die Lippen aber weiß, sein Haar zerzaust.
»Mrs. Monk«, sagte er in kaum verhülltem Zorn, »wenn Sie die Güte hätten, mir zu folgen.« Es war ein Befehl, keine Bitte.
Hester gehorchte. Es tat ihr zutiefst leid, dass er so großen Kummer hatte, andererseits hatte sie keineswegs die Absicht, sich wie ein ungezogenes Kind behandeln zu lassen.
Er führte sie in die Bibliothek, wo ein munteres Feuer prasselte, und hielt ihr höflich die Tür auf, nur um sie hinter ihr heftig zuzuknallen. »Erklären Sie sich«, forderte er sie knapp auf.
Sie sah ihn mit aller Würde an, die sie, tropfnass, wie sie war, in geliehenen Kleidern und nach dem blamabelsten Abend ihres Lebens zuwege brachte. Energisch dachte sie daran, dass sie Fieberkrankenhäuser und Schlachtfelder nicht nur überlebt, sondern dort wertvolle Arbeit geleistet hatte. Im Vergleich dazu war die heutige Tragödie wirklich eine Bagatelle. Kurz, die Regeln der Etikette konnten ihr heute gestohlen bleiben.
»Ich glaube, Rose hat zu viel getrunken, Mr. Applegate. Ich habe sie nur immer Limonade nehmen sehen, und obwohl sie nicht mehr als ein oder höchstens zwei Gläser Wein getrunken haben kann, scheint sie ungewöhnlich anfällig für Alkohol zu sein. Es sei denn, natürlich, sie hat etwas extrem Starkes bekommen. Ich selbst habe nur ein Glas getrunken und kann das darum nicht beurteilen.«
Er atmete heftig, als suche er nach Worten, mit denen er sie treffen konnte.
»Was da geschehen ist, tut mir schrecklich leid«, fuhr Hester fort. »Und ich fürchte, das Schlimmste wissen Sie noch gar nicht.« Sie brachte es am besten gleich hinter sich, ehe sie es ihn langsam und auf für sie beide höchst peinliche Weise herausfinden ließ. »Ein schauderhaft schlechtes Trio hat für den
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