Das dunkle Labyrinth: Roman
Verzeihung bitten. Hätte ich um ihre Schwäche gewusst, hätte ich das vielleicht verhindern können. Es gibt Menschen, bei denen schon ein Tropfen Alkohol wie Gift wirkt.«
Jenny räusperte sich. Sie fühlte sich offenbar äußerst unbehaglich. Natürlich trug sie wieder Schwarz, doch es wurde am Hals und an den Manschetten durch Flieder aufgelockert. Und ihr Gesicht deutete an – wenn auch sehr dezent -, dass Leben, Lachen und Leidenschaft allmählich wieder in den Bereich des Möglichen rückten.
»Nun ja, es wird sich wohl so verhalten.« Sie wirkte alles andere als gesprächsbereit, doch sie konnte es sich kaum leisten, Hester zum Gehen aufzufordern, wenn sie keinen Affront riskieren wollte. »Aber das ist etwas, wovon ich nicht das Geringste weiß.«
»Hoffentlich werden Sie das auch nie erfahren müssen«, sagte Hester herzlich. »Ich selbst lernte diese Probleme kennen, als ich verwundete Soldaten pflegte und mit Männern zu tun hatte, die sich dem Tod auf dem Schlachtfeld stellen mussten.« Sie sah, wie Jennys Gesicht für einen Moment weich wurde und Mitgefühl verriet. »Wenn man vor schier unerträglichen Entscheidungen steht«, fuhr Hester in einem Ton fort, als hätten sie jetzt etwas gemeinsam, »fällt es nicht allen von uns leicht, genügend Mut aufzubringen, um das Richtige zu tun, zumal uns das immer etwas kostet, woran wir hängen. Ich bin mir sicher, dass Sie das mit Ihrem Einfühlungsvermögen verstehen werden, Mrs. Argyll.«
»Ich … äh …« Jenny spürte, dass das Gespräch in eine Richtung führte, die sie nicht wollte. Hesters Verhalten verriet unmissverständlich eine Zweckmäßigkeit. Das war kein bloßer Anstandsbesuch.
Hester nutzte Jennys Verlegenheit, um in die Offensive zu gehen. »Sie überlegen sicher schon, wie man sich am schonendsten nach dem Befinden der armen Rose erkundigen kann«, fuhr sie fort. »Ich komme gerade von ihr. Sie leidet natürlich unter großem Unwohlsein, aber das wird vergehen. Ich glaube nicht, dass sie einen physischen Schaden davongetragen hat, aber ihr Ruf wird sich nie davon erholen.«
»Das fürchte ich auch«, bestätigte Jenny. Endlich befand sie sich auf vertrauterem Gelände. »Die Gesellschaft kann wohl kaum vergessen oder übersehen, was sie getan hat. Sie … Sie ziehen doch hoffentlich nicht in Betracht, mich um eine Intervention zu bitten.« Sie schluckte. »In solchen Angelegenheiten habe ich keinerlei Einfluss.«
»An so etwas würde ich nie denken«, versicherte ihr Hester hastig. »Ich wüsste nicht, was andere für sie tun könnten, noch sehe ich auch nur den geringsten Grund, warum Sie Ihren eigenen Stand in der Gesellschaft durch öffentliches Eintreten für sie kompromittieren sollten.«
Der Hauch einer natürlichen Gesichtsfarbe kehrte in Jennys Wangen zurück. Sie entspannte sich immerhin so weit, dass sie Hester einlud, sich zu setzen, und selbst Platz nahm. »Ich denke, das Beste für sie wäre, sie zöge sich ganz aus der Gesellschaft zurück.«
»Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu!« Hester nickte. »Ich wusste, dass Sie das Mitgefühl haben würden, um das zu verstehen.«
Jenny musterte sie erfreut, aber auch etwas verwirrt.
»Es ist so schrecklich traurig«, ergänzte Hester.
»Traurig?«
Hester nickte. »Rose hat den Alkohol nämlich nicht absichtlich getrunken, und schon gar nicht wissentlich. Er wurde ihr von jemandem gegeben, der den Wunsch hatte, sie derart in Verruf zu bringen, dass sie in absehbarer Zukunft nicht mehr in der Öffentlichkeit auftreten kann.« Sie hatte schon vorher jeden Versuch, Argyll direkt zu beschuldigen, als denkbar schlechte Taktik verworfen. Jetzt musste sie behutsam zu Werke gehen.
Jenny wurde blass. »Wie, um alles auf der Welt, kommen Sie darauf? Sie … sie hat doch gewiss … eine solche Schwäche nicht …« Den Rest ließ sie ungesagt.
Hester runzelte die Stirn, als dächte sie angestrengt nach. »Sie muss sich ihres Problems bewusst gewesen sein«, antwortete sie. »In jüngster Zeit kann es jedoch nicht aufgetreten sein, sonst wüssten wir alle davon. Es muss sie völlig überraschend überfallen haben. Das bedeutet: Jemand anderer hat das verursacht. Sie trank nur Limonade.«
Jenny starrte sie fassungslos an. Sie atmetete mehrmals tief durch, bis sie wieder ruhiger wurde. »Da sind natürlich immer auch die Pralinen«, meinte sie mit etwas rauer Stimme. »Mischen denn manche Köche nicht Brandy in die Trockenfrüchte? Oder Schnaps in die Sahne?«
Auch wenn Hester
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