Das dunkle Labyrinth: Roman
Regen zu achten.
»Wo hast du gesteckt?«, fragte er. »Du bist ja nass bis auf die Haut und siehst fürchterlich aus! Du solltest doch …« Er verstummte jäh, als er ihren Gesichtsausdruck sah. »Was ist los?«
Hester dankte dem Kutscher und ging ins Haus. Sie fröstelte erneut. Erschöpft ließ sie sich dicht vor dem Kamin auf einen Stuhl sinken, auf dem sie zusammengekauert sitzen blieb. Nun, da sie nicht mehr mit Morgan Applegates Kummer und Roses Hilflosigkeit konfrontiert war, breitete sich tiefe Niedergeschlagenheit in ihr aus. Wie hatte sie nur so dumm sein können, dass sie sich einbildete, sie könnten gegen die Macht des Kapitals gewinnen. Ihre Überheblichkeit hatte ihren Fall bedingt. Und in ihrer Unwissenheit hatte sie Rose bedenkenlos mit in die Tiefe gerissen.
»Was ist los?«, wiederholte Monk, der hinter ihr ins Zimmer getreten war.
Sie beschrieb den Abend so genau, wie sie ihn in Erinnerung hatte, wobei sie allerdings vieles von dem, was Rose gesagt und getan hatte, wegließ oder nur grob zusammenfasste. »Argyll muss Alkohol in ihr Glas gegeben haben«, schloss sie. »Ich habe keine Ahnung, wie – ich habe nichts gesehen, außer dass er die Hand kurz über das Glas hielt. Nach diesem Auftritt von heute Abend, wird sie London jedenfalls verlassen müssen, und weder sie noch ihr Mann werden in der Lage sein, vor Gericht auszusagen. Und auch aus Jenny Argyll werden wir nichts herauspressen können. Ohne Rose habe ich keine Möglichkeit mehr, noch einmal einen Fuß in die gehobene Gesellschaft zu setzen. Schlimmer noch« – jäh stieg ihr die Röte ins Gesicht -, »nach dieser Geschichte wird man mich wohl nicht gerade in guter Erinnerung behalten. Es tut mir leid. Es tut mir schrecklich leid.«
Monk war verwirrt. »Du … warum entschuldigst du dich? Gibt es etwas, das du mir verschwiegen hast, Hester?«
»Nein, nichts! Aber sie wussten natürlich, wer ich bin, dass ich deine Frau bin. Wird von der Gattin eines Polizisten denn nicht ein besseres Verhalten erwartet?«
Er starrte sie immer noch verständnislos an, bis er plötzlich zu grinsen begann. Daraus wurde ein Lachen aus voller Kehle, das gar nicht mehr enden wollte.
»Das ist überhaupt nicht lustig!«, rief sie empört.
Doch das erheiterte ihn nur umso mehr, sodass ihr schließlich nichts anderes übrig blieb, als wütend zu werden – oder mitzulachen. Sie entschied sich für Letzteres. So standen sie gemeinsam vor dem Feuer und krümmten sich vor Lachen, bis ihnen die Tränen über die Wangen strömten.
»Ich finde, du solltest die Politik lieber aufgeben«, stöhnte er. »Darauf verstehst du dich kein bisschen.«
»So schlecht bin ich normalerweise auch nicht«, verteidigte sie sich, wenn auch eher lahm. Die Niederlage stand ihr noch allzu deutlich vor Augen.
»Doch!«, widersprach er zärtlich. »Ich finde nämlich, du solltest in den Pflegeberuf zurückkehren. Darin bist du unschlagbar.«
»Niemand wird mich nehmen«, meinte sie traurig.
»Und ob, und sogar mit Handkuss! In der Portpool Lane lieben sie dich alle – sogar Squeaky Robinson auf seine verquere Weise.
Ihr Gesicht verriet in schneller Abfolge Unglauben und Unsicherheit, dann Hoffnung. »Aber du hast doch gesagt …«<
»Ich weiß. Ich hatte Unrecht.« Mehr konnte er nicht hinzufügen, denn sie schlang die Arme um seinen Hals, drückte sich an ihn und küsste ihn lange und fest.
10
Obwohl ihr Monk eine große Freude gemacht hatte, plagten Hester beim Erwachen Gewissensbisse wegen Rose. Gleich nach dem Frühstück packte sie die Kleider ein, die Rose ihr geliehen hatte, und brachte sie zurück. Ihre Erfahrungen bei der Armee hatten sie einiges über die Leiden nach übermäßigem Alkoholgenuss gelehrt, sodass sie wusste, wie den Betroffenen zu helfen war. Sie verbrachte mehrere Stunden damit, ihr Möglichstes für Rose zu tun, wofür ihr beide Applegates unendlich dankbar waren. Schließlich wünschte sie ihnen zum Abschied alles Glück für ihr weiteres Leben und ging.
Im Haus der Argylls traf sie kurz nach Mittag ein.
»Guten Morgen, Mrs. … Monk«, sagte Jenny unsicher, als sie Hester im Salon gegenüberstand.
»Guten Morgen, Mrs. Argyll«, erwiderte Hester mit der Andeutung eines Lächelns. »Ich habe mir gedacht, dass Sie sich nach der Katastrophe von gestern Abend verständlicherweise Sorgen um Mrs. Applegate machen. Ich weiß, dass Sie mit ihr befreundet waren.« Ohne es zu merken, sprach sie bereits in der Vergangenheit. »Und ich muss Sie um
Weitere Kostenlose Bücher