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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Sie dem Gericht bitte berichten, wo Sie gestern Nacht waren?«
    Dobie, der die Nachricht offenbar noch nicht gehört hatte, legte sofort Widerspruch ein.
    »Gut, darf ich meine Frage dann umformulieren?«, presste Rathbone mit vor Anspannung knarzender Stimme hervor. »Mylord, wie einige in diesem Gericht bereits wissen, hat es gestern Nacht beim Aushub eines Abwasserkanals durch die Argyll Company einen Einsturz gegeben.« Er hielt inne, während die Zuhörer nach Luft schnappten und ein oder zwei Leute laut aufschrien. Die Geschworenen blickten einander bestürzt an. Der Lärm legte sich erst, als der Richter Ruhe forderte.
    »Wurden Sie zur Unglücksstelle gerufen, Mr. Monk?«, setzte Rathbone die Vernehmung fort.
    »Ja.« Monk gab seine Antworten so knapp und direkt wie möglich. Nur einmal sah er kurz zu Sixsmith hinüber, der, das eindrucksvolle Gesicht starr nach vorn gerichtet, den Oberkörper starr aufgerichtet, regungslos auf der Anklagebank verharrte.
    »Wer hat Sie gerufen?«, fragte Rathbone Monk.
    »Sergeant Orme von der Wasserpolizei.«
    »Hat er gesagt, warum Sie?«
    »Nein. Ich glaube, er nahm an, ich sei davon betroffen, weil ich aufgrund von James Havillands Befürchtung einer solchen Katastrophe und seines plötzlichen Todes Ermittlungen diesbezüglich aufgenommen habe. Wir taten natürlich unser Möglichstes, um Hilfe zu leisten, wie auch die Metropolitan Police, die Feuerwehr und viele Ärzte, Navvys, Tosher und jeder arbeitsfähige Mann aus der näheren Umgebung.«
    Der Richter hatte mit zunehmendem Interesse gelauscht. »Ihr Antrag wird angenommen, Sir Oliver«, versicherte er dem Anwalt nun. Er wandte sich an Monk. »Inspector, ich würde gerne wissen, was Sie gefunden haben. War es etwas, was von dem einen oder anderen befürchtet worden war?«
    »Ja, Mylord. Es überstieg alle Befürchtungen noch bei weitem.«
    »Erklären Sie sich bitte genauer.«
    Das war genau die Richtung, in die Rathbone gestrebt hatte, sodass Monk nur zu gern antwortete. »James Havilland hatte zu verstehen gegeben, dass er mit einem Unglück rechnete, wenn nicht bedeutend mehr Zeit und Sorgfalt für die Grabungen aufgewendet würden. Er gab in seinen Unterlagen nicht genau an, was er im Einzelnen befürchtete – oder falls er das doch getan hat, habe ich es nicht gefunden. Es besteht immer die Gefahr von Bewegungen im Untergrund: Erdrutsche und Absenkungen bei jeder größeren Grabung. James Havilland scheint jedoch etwas Schlimmeres vorhergesehen zu haben. Die Geschehnisse von gestern Nacht wurden offenbar dadurch ausgelöst, dass man beim Graben einem unterirdischen Bach zu nahe kam, woraufhin dieser die Mauern durchbrach – er führte ja gewaltige Wassermassen und zudem Erde und Geröll mit sich – und die Tunnel überflutete...«
    Die Entsetzensschreie im Saal und auf der Geschworenenbank schnitten Monk das Wort ab. Selbst der Richter wirkte bestürzt. Allem Anschein nach hatte die Nachricht noch nicht die Zeitungen erreicht, und nur die Wenigsten hatten auf anderen Wegen davon erfahren.
    »Ruhe!«, befahl der Richter schließlich, allerdings ohne jede Missbilligung. »Mr. Monk, ich darf annehmen, dass Sie heute trotz Ihrer Strapazen gestern Nacht hier sind, weil bestimmte Beweismittel aufgetaucht sind, die Sir Oliver selbst in diesem späten Stadium des Prozesses als unabdingbar erachtet?«
    »Ja, Mylord.«
    »Nun gut. Sir Oliver, stellen Sie bitte Ihre Frage.«
    Rathbone verneigte sich. »Danke, Mylord. Mr. Monk, brachten Sie im Laufe der Nacht Leichen und Personen an die Oberfläche, die noch am Leben waren?«
    »Ja.«
    »Waren auch Leute dabei, die Sie kannten?«
    »Ja.«
    »Wer war das?«
    »Zwei Kanalarbeiter, mit denen ich gesprochen hatte, ein Tosher – jemand, der Wertgegenstände aus den Abwasserkanälen birgt – und ein weiterer Mann, dem ich ein Mal begegnet war.« Er verstummte abrupt, als erneut die Erinnerung über ihn hereinbrach und ihm für einen Augenblick der Atem stockte. Er fühlte sich in die erstickende Dunkelheit zurückversetzt, hörte wieder den Schuss, sah Scuff zu Boden stürzen. Er war so müde, dass Vergangenheit und Gegenwart sich miteinander vermengten und der Gerichtssaal zu schwanken schien.
    »Wo sind Sie ihm begegnet, Mr. Monk?«
    Monk wurde klar, dass Rathbone ihm diese Frage schon einmal gestellt haben musste. Er straffte sich. »In einer der Kloaken«, antwortete er. »Als ich den Mann verfolgte, den Mrs. Ewart in der Nacht, in der Mr. Havilland erschossen wurde, aus

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