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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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dessen Remise hatte kommen sehen.«
    »Und Sie haben ihn nicht verhaftet?« Rathbone klang verblüfft.
    »Er hat auf den Jungen, der mich führte, geschossen. Ich musste den Kleinen nach oben schaffen.«
    Der Richter beugte sich vor. »Ist der Junge in einem zufriedenstellenden Zustand, Mr. Monk?«
    »Ja, Mylord. Wir haben ihn ärztlich versorgt und die Kugel entfernt. Er scheint auf dem Wege der Besserung zu sein. Danke.«
    »Gut, gut.«
    Dobie erhob sich. »Mylord, all das mag ja rührend sein, aber damit ist doch nicht das Geringste bewiesen. Dieser bedauernswerte Mann, der keinen Namen zu haben scheint, ist tot – wie günstig für den Strafverfolger – und kann somit zu nichts mehr eine Aussage machen. Vielleicht war er nur einer der beklagenswerten Mittellosen, der gedacht hatte, er könne in Mr. Havillands Stall ungestört nächtigen. Anscheinend fand er selbst einen tragischen Tod, als die Aushubstelle einstürzte und er lebendig begraben wurde. Wir haben kein Recht dazu – und keine Beweise -, ihn jetzt, da er sich nicht mehr verteidigen kann, als Schurken zu brandmarken.« Er blickte mit einem selbstzufriedenen Grinsen ins Publikum, ehe er wieder Platz nahm.
    »Sir Oliver?« Der Richter zog die Augenbrauen hoch.
    Rathbone lächelte. Es war eine unscheinbare Bewegung der Lippen, die Monk schon mehrmals bei ihm gesehen hatte: Wenn er dabei war zu siegen, und zum entscheidenden Stoß ansetzte, aber auch dann, wenn seine Sache schon so gut wie verloren war und er eine letzte, verzweifelte Karte spielte.
    »Mr. Monk«, sagte er sanft in die Stille hinein, »sind Sie sicher, dass das derselbe Mann ist, der auf Ihren jugendlichen Führer schoss? In diesen Tunneln ist es doch sicher extrem dunkel. Sieht da nicht ein Gesicht mehr oder weniger wie das andere aus, vor allem, wenn man erschrocken ist und womöglich Angst hat?«
    Monk bedachte ihn mit einem kleinen, düsteren Grinsen. »Er hielt eine Laterne hoch. Ich denke, er wollte uns besser sehen und zielen können.« Bei der Erinnerung an diesen Moment wurde ihm wieder schwindlig. Er hatte sich unauslöschlich in sein Gedächtnis gegraben. »Er hatte glattes schwarzes Haar, schwarze Brauen, eine schmale Nase und höchst ungewöhnliche Zähne. Seine Eckzähne standen hervor und waren deutlich länger als die übrigen, vor allem der linke Zahn. Wenn ein Mann eine Pistole auf einen richtet, vergisst man einen solchen Anblick sein Leben lang nicht.« Er beschloss, nicht mehr dazu zu sagen. Seine Anspannung war zu stark, als dass es passend gewesen wäre, sie mit Worten auszuschmücken. Niemand im Saal rührte sich, außer eine Frau, die von einem gewaltigen Schaudern erfasst wurde.
    »Ich verstehe.« Rathbone nickte bedächtig. »Und fand diese bedauernswerte Kreatur – ob bösartig oder nicht – ihren eigenen Tod infolge des katastrophalen Einsturzes?«
    »Nein. Er wurde in den Rücken geschossen. Er war bereits tot, als der Einsturz sich ereignete.«
    Dobie schoss hoch. »Einspruch, Mylord! Wie kann Mr. Monk das wissen? War er dabei? Hat er es gesehen?«
    Rathbone wandte sich langsam von Dobie ab, um mit hochgezogenen Augenbrauen Monk anzusehen.
    Auf der Anklagebank beugte sich Sixsmith weit vor.
    »Balken und herabfallende Steine hatten dem Mann die Beine zermalmt«, erklärte Monk, »doch Blutspuren fehlten.«
    Eine Frau schnappte nach Luft. Die Geschworenen starrten Monk stirnrunzelnd an. Dobie schüttelte mitleidig den Kopf, als hätte Rathbone endgültig den Verstand verloren.
    Rathbone wartete.
    »Lebende bluten«, führte Monk aus, »Tote nicht. Sobald das Herz stehen bleibt, versiegt der Blutstrom. Der Mantel des Mannes war rund um die Wunde mit getrocknetem Blut bedeckt, aber seine Beine waren sauber. Die Totenstarre hatte bereits eingesetzt. Der Gerichtsmediziner wird Ihnen wohl sagen können, wann er gestorben ist.«
    Dobie lief rot an und sagte nichts mehr.
    »Danke«, sagte Rathbone mit einem freundlichen Nicken in Monks Richtung, »ich habe keine weiteren Fragen an Sie.«
    Da Dobie nichts hinzufügen wollte, wurde Monk entlassen. Er verließ den Zeugenstand, blieb aber im Gerichtssaal, um zu verfolgen, wie Rathbones nächster Zeuge, der Gerichtsmediziner, seine Angaben bestätigte.
    Gerade als Melisande Ewart sich zu ihrer Aussage anschickte, schlüpfte Runcorn in den Saal und nahm in der Reihe unmittelbar gegenüber von Monk Platz. Melisande stieg ruhig die Stufen zum Zeugenstand empor und drehte sich zu den Zuhörern um. Sie wirkte äußerst

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