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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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geheizt war und man etwas zu sich nehmen konnte?«
    Jenny Argyll musste sich am Geländer festhalten. »Damit … meine Schwester sie nicht stören konnte.« Man musste es ihr fast von den Lippen ablesen, so leise sprach sie. »Das Treffen sollte geheim bleiben.«
    »Wer hat Sie gebeten, den Brief zu schreiben, Mrs. Argyll?«
    Sie schloss die Augen, als wäre sie selbst im Tunnel unten und all das schwarze Wasser, das die Navvys verschlungen hatte, schösse auf sie zu. »Mein Mann.«
    Auf der Anklagebank ging eine undefinierbare Veränderung mit Sixsmith vor sich. Seine Anspannung fiel von ihm ab, als wittere er Morgenluft.
    Einen Moment lang herrschte quälendes Schweigen. Rathbone ließ ihn verstreichen, dann stellte er seine letzte Frage: »Wussten Sie, dass Ihr Vater in der Remise getötet werden sollte, Mrs. Argyll?«
    »Nein!« Auf einmal war ihre Stimme laut und schrill. »Mir hat er gesagt, er wolle meinen Vater nur davon überzeugen, dass er mit den Tunneln Unrecht hatte und aufhören solle, die Navvys und Tosher – ich glaube, so nennt man die Arbeiter und die Sammler – mit Schreckensgeschichten aufzuwiegeln!«
    »So, wie es Mr. Sixsmith uns berichtet hat«, konnte Rathbone es sich nicht verkneifen zu ergänzen. »Danke, Mrs. Argyll.«
    Die Verwirrung stand Dobie ins Gesicht geschrieben. In dem Moment, in dem er sich darauf gefasst machte, in einer Flut von Gegenbeweisen unterzugehen, kehrte sich auf einmal alles in sein Gegenteil, ohne dass er so recht verstand, warum.
    Er stellte nur eine Frage: »Es war Ihr Mann, der Sie bat, diesen Brief zu schreiben, Mrs. Argyll? Nicht Mr. Sixsmith?«
    »Das ist richtig«, flüsterte Jenny.
    Dobie dankte ihr und entließ sie.
    Monk blickte den Richter an, der sich nun vorbeugte. In seine Stirn hatten sich tiefe Falten gegraben. Er wirkte mehr als verwundert. Es hatte den Anschein, als hätten Verteidigung und Strafverfolgung ihre Rollen getauscht und jeder verfechte die Sache des anderen. Vielleicht hatte er aber auch verstanden, was sich da abspielte. Nun, so lange das Recht nicht gebeugt oder in Misskredit gebracht wurde, wollte er jedenfalls die Dinge ihren Gang gehen lassen. Er vertagte die Sitzung bis nach dem Mittagessen.
     
    Am Nachmittag saßen sowohl Monk als auch Runcorn wieder im Gerichtssaal. Dobie berief Alan Argyll in den Zeugenstand, so wie es Rathbone inständig erhofft hatte. Er hatte schließlich getan, was er konnte, um Dobie einen Verzicht auf diesen Zeugen so gut wie unmöglich zu machen.
    Argyll ging mit bleichem Gesicht, aber gefasst durch den Saal. Einmal sah er kurz zur Anklagebank hinauf, doch es war unmöglich zu erkennen, ob seine und Sixsmith’ Blicke sich begegneten. Sixsmith hatte sich wieder vorgebeugt. Farbe war in sein Gesicht zurückgekehrt, wenn auch nur in Form zweier Flecken, die seine Aufregung verrieten. Er musste die Freiheit in Reichweite spüren.
    Argyll wiederum, der während der Aussage seiner Frau nicht hatte zugegen sein dürfen, wusste noch nicht, dass seine Macht über sie gebrochen war. Er blickte Rathbone in dem Glauben an, dass dieser sich einer Verurteilung Sixsmith’ absolut sicher sei. Vielleicht bemerkte er auch die unverhüllte Feindseligkeit in den Mienen der Geschworenen nicht. Er sah Dobie unerschrocken an und beantwortete dessen erste Frage mit klarer Stimme.
    »Nein, ich habe meine Frau nicht gebeten, einen solchen Brief zu schreiben.« Er brachte es sogar fertig, sich überrascht zu zeigen.
    Dobie sah ihn ungläubig an. »Es steht außer Zweifel, dass dieser Brief existierte, Mr. Argyll. Genauso, dass Ihre Frau ihn geschrieben hat. Sie hat es vor diesem Gericht zugegeben. Wenn nicht auf Ihre Bitte, für wen hätte sie ihn dann schreiben können?«
    Argyll begann zu zittern. Das und die Art und Weise, wie er sich an das Geländer klammerte, verrieten Monk, dass er Angst bekommen hatte. Der Unternehmer wollte den Blick zu Sixsmith heben, zwang sich dann aber, nicht hinzuschauen. Dämmerte ihm, wie es um ihn bestellt war?
    »Ich habe keine Ahnung«, brachte er mühsam hervor.
    Dobie wurde sarkastisch. »Eines Ihrer Kinder vielleicht? Ihre Schwägerin? Oder Ihr Bruder?«
    Jäh lief Argyll feuerrot an und begann zu schwanken. Ohne das Geländer wäre er vornübergekippt. »Mein Bruder ist tot, Sir! Weil Mary Havilland ihn mit in die Tiefe gerissen hat! Und Sie stellen sich hin und beschuldigen ihn … wessen eigentlich? Wie viel Mut erfordert es, einen ermordeten Mann anzuklagen? Sie verunglimpfen das Amt,

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