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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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schlug alle Schicklichkeitsregeln in den Wind und lief Rathbone durch den Gerichtssaal entgegen, als er auf sie zutrat. Sie strahlte übers ganze Gesicht, aber was sie ihm sagte, ging im allgemeinen Lärm unter.
    Monk war ebenfalls auf den Beinen. Er wollte ein paar Worte mit Runcorn wechseln und ihm vor allem für seinen Mut und seinen Gerechtigkeitssinn danken, weil er bereit gewesen war, den Fall noch einmal komplett aufzurollen. Danach wollte er heimkehren und Hester – und Scuff – alles erzählen.

12

    Da der Prozess so zügig beendet worden war, kam Monk ungewohnt früh nach Hause. Das Wetter war sonnig und klar und der Abendhimmel frei von Wolken – das einzige Grau stammte vom aufsteigenden Rauch aus den Kaminen. In der Nacht würde es sicher Frost geben. Schon als er aus dem Omnibus stieg, merkte Monk, dass das Kopfsteinpflaster mit einer Eisschicht überzogen war. Dafür roch die Luft frisch und schmeckte süß nach Sieg. Die Sonne stand tief, und ihre grelle Reflexion von der Oberfläche des Flusses tat in den Augen weh. Die Masten der Schiffe ragten vor dem Hintergrund der Hausdächer und der üppigen Farben des Horizonts einem schwarzen Flechtwerk gleich in den Himmel.
    Monk löste sich von diesem Anblick und ging, immer auf das Eis achtend, die Union Road hinunter zur Paradise Street. Kaum hatte er sein Haus betreten, rief er auch schon laut Hesters Namen.
    Sie musste den Triumph in seiner Stimme gehört haben. Mit erwartungsfrohem Gesicht kam sie aus dem Schlafzimmer gestürmt, wo sie bei Scuff gesessen hatte.
    »Wir haben gewonnen!«, rief Monk und eilte mit großen Sätzen die Treppe hinauf. Strahlend packte er Hester um die Hüften, wirbelte sie einmal herum und küsste sie auf die Lippen, den Hals, die Wange und wieder die Lippen. »Wir haben auf ganzer Linie gewonnen! Sixsmith ist wegen nichts als Bestechung zu einer geringfügigen Geldbuße verurteilt worden. Jeder wusste, dass Argyll der Schuldige ist, und wahrscheinlich ist er inzwischen verhaftet worden. Ich wollte es nur nicht abwarten. Rathbone war großartig, brillant! Margaret war so stolz auf ihn, dass sie schier glühte.«
    Scuff saß aufrecht im Bett und starrte sie durch die offene Schlafzimmertür an. Mit dem sauberen Gesicht sah er ungewohnt rosig aus. Und sein Haar war blonder, als Monk es je bei ihm gesehen hatte. Die Seidenspitzen an seinem Nachthemd schien er vergessen zu haben. Die Schulter musste ihn noch schmerzen, doch er gab sich nicht weiter damit ab. Mit vor Spannung leuchtenden Augen wartete er ungeduldig auf Monks Bericht.
    Hester führte Monk ins Schlafzimmer und setzte sich aufs Bett, damit Monk es ihnen beiden erzählen konnte.
    »Sie haben gewonnen!«, rief Scuff aufgeregt. »Geht’s jetzt Argyll an den Kragen, weil er Havilland und die arme Miss Mary umgebracht hat? Können Sie sie jetzt richtig beerdigen?«
    »Ja«, sagte Monk schlicht.
    Scuffs Augen leuchteten. Völlig ungezwungen saß er dicht neben Hester, ohne dass beide sich dessen bewusst zu sein schienen. »Wie haben Sie das geschafft?«, fragte er, begierig, alles bis in die kleinste Einzelheit zu erfahren, nachdem er nicht selbst hatte dabei sein dürfen.
    »Möchtest du eine Tasse Tee, bevor wir anfangen?«, fragte Hester.
    Scuff starrte sie verständnislos an, und Monk verdrehte die Augen.
    »Na gut«, sie lächelte. »Dann bekommst du eben nichts, bis alles bis zum letzten Wort gesagt ist.«
    Monk begann im Stil einer Abenteuergeschichte, schilderte alle Details, machte dramatische Pausen, sah ihnen dabei unentwegt in die Gesichter. Er genoss die Sitation. Er beschrieb den Gerichtssaal, den Richter, die Geschworenen, die Männer und Frauen im Saal und jeden einzelnen Zeugen. Scuff lauschte atemlos und wagte kaum zu blinzeln.
    Monk berichtete, wie er die Stufen zum Zeugenstand hinaufgestiegen war und die Leute unter ihm angestarrt hatte; wie Sixsmith auf der Anklagebank den Kopf zu ihm gedreht und Rathbone die Fragen gestellt hatte, die die entscheidende Wende gebracht hatten.
    »Ich habe den Mann ganz genau beschrieben«, erklärte er und hatte die Szene wieder vor Augen. »Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so still war es...«<
    »War den Leuten klar, dass er der Mann war, der Havilland umgebracht hat?«, flüsterte Scuff. »Haben sie verstanden, wie’s in den Kloaken so is’?«
    »O ja! Ich habe ihnen geschildert, wie wir ihn das erste Mal gesehen haben und wie er sich umgedreht und auf dich geschossen hat. Sie waren entsetzt.

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