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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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geweigert, ihr zu verraten, was ihn in eine so schreckliche Verzweiflung getrieben hatte?
    »Ihr Vater hat sich vor zwei Monaten das Leben genommen«, erklärte er, den Blick auf Hesters Gesicht gerichtet. Er sah, wie Trauer ihre Augen überschattete und ihre Lippen sich zusammenpressten. »Ihre Schwester glaubt, dass sie nie darüber hinweggekommen ist. Es tut mir leid.«
    Sie schaute weg. »Es ist vorbei«, sagte sie leise. Damit bezog sie sich auf ihren eigenen Vater, nicht auf Havilland. »Warum hat er es getan? Waren es auch Schulden?«
    Er litt mit ihr. Wie er sich danach sehnte, sie in die Arme zu schließen, die Hand auf die Wunde zu legen, die zu tief war, um zu heilen und womöglich für immer offen blieb.
    Er kehrte zu Hesters Frage zurück. »Dem Anschein nach nicht. Er arbeitete für die Argyll Company und glaubte, dass die Gefahr eines Unfalls in den Tunneln bestünde. Sie bauen doch die neuen Abwasserkanäle....«<
    »Und nicht zu früh!«, stieß sie heftig hervor. »Was für eine Art von Unfall?«
    »Das weiß ich nicht.« Er erklärte ihr kurz die Familienverhältnisse. »Argyll sagt, dass Havilland Angst vor Erdrutschen, Einstürzen und so weiter hatte. Er sei schließlich davon besessen gewesen, nicht mehr ganz bei Trost.«
    »Stimmt das denn?«, fragte sie, darauf bedacht, nur an den gegenwärtigen Fall zu denken.
    »Ich weiß es nicht.« Er berichtete ihr von Marys Verlöbnis mit Toby Argyll, das sie gelöst hatte. Einen bestimmten Grund, führte er aus, hätte man ihm nicht genannt, außer dass sie um ihren Vater trauerte und sich weigerte zu glauben, er hätte seinen Tod selbst herbeigeführt. Sie hätte die Sache einfach nicht auf sich beruhen lassen können.
    »Und was war es nun?«, drängte Hester. »Ein Unfall? Oder Mord?« Sie gab sich extrem sachlich, doch Monk sah, wie angespannt sie war und welche Mühe diese Selbstbeherrschung sie kostete.
    »Ich weiß es nicht. Aber die Polizei hat den Fall untersucht. Das fiel in Runcorns Zuständigkeit.« Er sah ihr unverwandt in die Augen. Um seine Lippen spielte ein düsteres Lächeln.
    Hester verstand, warum das dem Fall eine pikante Note verlieh und zusätzliche Schmerzen bedeutete. Mehr als Monk lieb war, hatte sie seinen Drang nach Macht durchschaut und gesehen, mit welchen Mitteln er früher darum gekämpft, sich mit Runcorn angelegt und ihn verärgert hatte. Vielleicht ahnte sie sogar, was für einen brüchigen Scheinfrieden sie in dem Fall mit der »Beerdigung in Blau« geschlossen hatten, als Monk bei Runcorn ausgerechnet dort unvermittelt Mitleid bemerkt hatte, wo er es am wenigsten erwartet hatte. Wovon sie nichts wusste, das waren die Erinnerungsfetzen und die Scham, die Monk seitdem immer wieder befallen und damit konfrontiert hatten, wie er Runcorn bei seinem Aufstieg zum Erfolg benutzt hatte, ehe sein Unfall ihm das Gedächtnis geraubt hatte. Es gab Dinge, bei denen es eine Gnade war, wenn das Vergessen das Bewusstsein reinigte.
    »Aber du wirst es herausfinden«, stellte sie fest, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
    »Ja, ich muss. Wenn sie es tatsächlich absichtlich getan hat, wird man sie in ungeweihter Erde begraben.«
    »Ich weiß.« Hesters Augen füllten sich mit Tränen.
    Sofort wünschte sich Monk, er hätte es nicht erwähnt. Er hätte sich für seine dumme Ehrlichkeit am liebsten geohrfeigt. Warum hatte er Hester nicht einfach geschützt, zur Not mit einer Lüge?
    Auch das sah sie ihm an. »So etwas wie ungeweihte Erde gibt es im Grunde gar nicht.« Sie schluckte. »Jede Erde ist geweiht, findest du nicht auch? Die Leute denken nur so. Aber manchen Menschen liegt eben sehr daran, dass sie neben ihren Liebsten beerdigt werden, weil sie sich selbst im Tod noch zu ihnen gehörig fühlen. Sieh zu, dass du es herausfindest. Ihre Schwester wird vielleicht die Wahrheit wissen wollen, die arme Frau.«

2

    Am nächsten Morgen war Flut, und der Fluss mit seinen Gerüchen nach Schlamm, Salz, toten Fischen und faulendem Holz schien unmittelbar an der Tür zu lecken, als Monk sich dem Revier näherte. Der Wind hatte sich gelegt, und das Wasser kräuselte sich kaum, obwohl es an den Pfosten des Anlegestegs, den Steinstufen unter der Mole und am Uferdamm immer noch stieg. Die Eisschicht auf den Pfützen war hier und dort wieder geschmolzen, aber es gab nach wie vor mehr als genug glatte Stellen.
    »Morgen, Sir«, sagte Orme munter, als Monk in die Wachstube trat. Der Kohleofen hatte die ganze Nacht gebrannt, und im Zimmer war es

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