Das dunkle Labyrinth: Roman
erzählen. Hester fühlte sich immer unwohler. Es gab keinen Luftzug, keine Pflanzen, keine Tiere, bis auf die Ratten und von Zeit zu Zeit einen Hund. Snoot zitterte vor Aufregung, weil er hier so viele Fährten witterte. Immer wieder sah er fragend zu seinem Herrchen auf, bereit, sich auf die nächste Beute zu stürzen, doch es kam kein Befehl.
Sie hatten bereits mit fünf Personen gesprochen und befanden sich fast eine halbe Meile unter dem Fluss, als Sutton den Mann fand, den er gesucht hatte. Im gelben Schein des Gaslichts wirkte sein Gesicht wie aus Metall gegossen. Auf einer Seite war es von oben bis unten vernarbt, das Ohr war abgerissen, und das Haar wuchs in Büscheln, dort, wo die Kopfhaut nicht zerfetzt worden war. Er war mager, und die Gicht hatte seine Hände zu knotigen Klauen mit hervorstehenden Knöcheln verformt.
»Hallo, Sutton!«, rief er überrascht. »Gibt’s im Palast nich’ genug Ratten?« Grinsend entblößte er kräftige Zähne.
»Grüß dich, Blackie«, antwortete Sutton. »Ich hab so gute Arbeit geleistet, dass sie alle weg sind. Wie geht’s dir?«
»Steif geworden«, meinte der andere schulterzuckend. »Komm ihnen nich’ mehr schnell genug hinterher. Sag mal, haste neuerdings’nen Helfer?« Er sah Hester neugierig an.
»Is’ noch keine große Hilfe. Aber er lernt’s schon noch. Is’ halt zu schmal für’nen Navvy.«
Blackie musterte Hester nachdenklich, und sie starrte zurück. Die Augen zu senken, dazu war sie nicht bereit. Blackie stieß ein keuchendes, aber fröhliches Lachen aus. »Na, hoffentlich isser dann wenigstens schlau. Is’ ja wohl nich’ gerade für viel zu gebrauchen, he?«
Hester lag schon eine Entgegnung auf der Zunge, doch gerade noch rechtzeig fiel ihr ein, was ihr Sutton eingeschärft hatte. Abgesehen davon beherrschte sie weder den Akzent dieser Leute, noch hatte sie eine Stimme, die auch nur annähernd so tief klang, wie das bei ihrer Größe nötig gewesen wäre.
Sutton schüttelte den Kopf. »Wer Navvy werden will, is’ nich’ gerade gut beraten. Zu riskant dieser Tage. Eisenbahnen sind das eine, Tunnel was ganz anderes.«
»Da haste verdammt Recht!«, stimmte ihm Blackie zu.
Sutton beugte sich vor. »Meinst du etwa, dass einer von denen hier bald einstürzen wird, Blackie?«
»Tja, zumindest geht das Gerücht um.« Blackie schürzte die Lippen, was sein schiefes Gesicht in dem gelben Licht noch weniger menschlich erscheinen ließ. »Es heißt, dass die Einfaltspinsel einfach drauflosgraben, bis sie’nem Bach in die Quere kommen und die armen Teufel, die wie die Maulwürfe für sie wühlen, ertrinken.«
Hester öffnete schon den Mund, um gezielt nachzufragen, doch sie schnappte jäh nach Luft, weil ihr Sutton gegen das Schienbein trat. Sie biss sich auf die Lippe und unterdrückte einen Schmerzensschrei.
»Wer arbeitet denn überhaupt da unten?«, fragte Sutton beiläufig. »Ich will nich’ erwischt werden.«
»Du willst runter, was?« Blackie zwinkerte ihm zu.
»Wär nich’ das erste Mal.« Sutton grinste. »Ich denke mal, es sind Bracknell und seine Leute.«
»Vielleicht. Aber wohl eher Patersons.«
»Argyll?«
Blackie sah ihn scharf an. »Du hast was gehört, oder?«
»Gerüchte. Is was dran?«
»Sie sind schneller als die meisten, aber Sixsmith is’n gerissener Hund. Sehr vorsichtig. Die Maschinen, die er benutzt, sind größer und stärker als die der anderen. Ich schätze, dass sie was damit gemacht haben, damit sie noch besser werden. Kann trotzdem sein, dass sie mal’ne alte Kanalwand aufschlitzen, und dann is’ der Tunnel im Handumdrehen voll.«
Hester brannte darauf, sich genauer zu erkundigen, aber die Schmerzen in ihrem Bein erinnerten sie an Suttons Tritt.
»So was hab ich auch gehört«, brummte Sutton. »Aber ich dachte, das wär bloß dummes Geschwätz von so’nem Mädchen. Ihr Vater hatte Angst vor der Dunkelheit oder so was. Is’ dann durchgedreht und hat sich erschossen, heißt es. Nur dass sie das nie geglaubt hat. Hat behauptet, jemand hätte ihn kaltgemacht?«
Blackies Augen verengten sich jäh zu Schlitzen. »An deiner Stelle würd ich dazu lieber die Klappe halten, Sutton«, sagte er sehr leise. »Bleib lieber bei deinen Ratten. Das is’ nett und sicher. Da weiß man, was man hat. Geh in keins von den Löchern runter und stell vor allem keine Fragen. Natürlich haben sie Sicherheitsvorschriften, und natürlich hält sich kein Schwein dran. Der Schnellste bekommt den nächsten Auftrag, so einfach
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