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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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is’ das. Lieber vielleicht bei lebendigem Leib begraben, als ganz sicher verhungert sein.« Er wurde noch leiser. »Ich steh in deiner Schuld, und ich war deinem Vater was schuldig, drum sag ich’s dir noch mal: Bleib bei den Ratten. Das is’ sauber, und man schreckt außer den Nagern keinen auf. Im Tunnel gehen Dinge vor sich, die man lieber nich’ weiß. Und du kannst Gift drauf nehmen, dass Leute die Hände im Spiel haben, die einen lieber nich’ kennen sollten! Vor allem ein ganz bestimmter Bursche. Drum steck deine Nase nich’ in Sachen, die dich nix angehen – kapiert?«
    Sutton nickte. »Vielleicht haste Recht. Aber geh auch du nich’ in die Tunnels runter, Blackie. Wenn sie aus Versehen’nen Fluss anbohren, is dem egal, dass du’n Tosher bist und dein Leben lang hier unten gearbeitet hast. Der bricht durch wie’ne Lokomotive und is’ schneller, als du laufen kannst, und reißt alles mit, was ihm im Weg is’.«
    Blackie verzog den Mund. »Ich geh da sowieso nich’ mehr hin. Ich weiß, welche sicher sind und welche nich’. Aber hör auf mich, Sutton! Wasser, Gas, Feuer und Ratten is’ nich’ das Einzige, worauf man achten muss! Da steckt auch Geld mit drin, so viel, dass manche Männer deswegen auch Morde begehen. Halt dich da raus, kapiert? Geh rauf und nimm den Jungen da mit. Ich weiß nich’, weswegen du gekommen bist, aber hier gibt’s nix für dich zu holen.«
    »Wahrscheinlich nich’«, räumte Sutton ein. Er ergriff Hester fest am Arm und trat den Rückweg an. Erst als sie etwa hundert Meter gegangen waren, wagte Hester zu sprechen.
    »Könnte Mary auch hier unten gewesen sein?«, fragte sie mit etwas zittriger Stimme.
    »Vielleicht, vielleicht nich’, aber sie wissen von ihr. Sie muss viele Fragen gestellt haben – und zwar die richtigen, so wie es sich anhört.«
    »Aber sie haben ihr doch sicher nichts gesagt. Welchen Schaden hätte sie denn anrichten können?«
    »Keine Ahnung«, murmelte Sutton niedergeschlagen. »Aber wenn einer sie umgebracht hat, kann es nur Toby Argyll gewesen sein. Die Frage is’ bloß: Wer hat’s ihm befohlen?«
    »Das muss ich wissen!«, beharrte Hester. »Wie können wir sonst beweisen, dass sie nicht Selbstmord begangen hat?«
    »Ich muss es doch auch wissen«, brummte Sutton. »Wie können wir sonst verhindern, dass sie immer noch schneller graben, bis sie die ganze Scheißdecke zum Einsturz bringen und vielleicht hundert Männer lebendig begraben werden?
    Oder schlimmer noch, dass sich das Gas entzündet und ganz London in Flammen steht wie vor zweihundert Jahren schon mal?«
    Darauf entgegnete Hester nichts mehr. Sie kannte die Antwort nicht, und das bereitete ihr Sorgen. Wenn Mary sich nicht getäuscht hatte, war es dann möglich, dass sie als Einzige die Gefahr erkannt hatte? Allein schon ihre Fragen müssten genügt haben, um viele Menschen aufzuschrecken. War es das, was Alan Argyll beunruhigt hatte – nicht die tatsächliche Situation, sondern die Ängste und Verdächtigungen, die Mary weckte? Hatte es je berechtigten Anlass zu der Sorge gegeben, dass sie eine Panik hätte auslösen können?
    »Sie scheinen keine Angst zu haben«, sagte sie laut. »Ich habe das Gefühl, sie glauben nicht wirklich, dass es geschehen wird.«
    Sutton sah ihr in die Augen. »Angst wovor?«, fragte er sanft. »Wenn man zu viel denkt, hat man bald Angst vor dem ganzen Leben – dass man verletzt wird, dass man hungern muss, dass man friert, dass man allein is’. Oder denken Sie ans Ertrinken oder daran, lebendig begraben zu werden? Denken Sie nich’ zu weit voraus. Denken Sie einfach an heute.«
    »Ist es das, worauf Argyll zählt? Arme Mary.«
    »Weiß nich’«, gab Sutton zu. »Aber so, wie’s im Moment aussieht, ergibt es einfach keinen Sinn.«
    Hester widersprach ihm nicht. Sie waren sich einig. Schweigend verließen sie den Tunnel.

6

    Monk stand in der Küche, als er Hester durch die Vordertür hereinkommen hörte. Er wirbelte herum und stürmte in den Flur, um sie zu fragen, wo sie so lange gewesen war, doch ihr Anblick verschlug ihm die Sprache. Sie trug Männersachen, war völlig durchgefroren, und ihr Gesicht war von Erschöpfung gezeichnet. Ihr sonst so gepflegtes Haar hing strähnig herunter. Sie musste es zu einem Knoten zusammengebunden haben, der sich irgendwann gelöst hatte. Und ihre Ärmel und Hosenbeine waren durchnässt.
    »Wo, zum Teufel, hast du gesteckt?«, fragte er in seinem Schreck schärfer, als er gewollt hatte. »Was ist

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