Das dunkle Lied des Todes
Sansibar zurückkehrte. Er ist nur eben nicht nach Hause gekommen. Sein Schiff ging unter. Dreizehn Menschen verschwanden und jetzt sitzen wir hier, dreizehn Seelen, und finden, dass das alles ein wenig zu viel ist. Ich war noch nie auf Sansibar und ich glaube auch nicht, dass irgendwer aus der Klasse dort war. Aber irgendwer verheimlicht uns etwas. Vielleicht verheimlichen sie alle etwas.«
»Du glaubst, sie können uns die Erklärung liefern?«
»Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, sie sind ebenso hilflos wie wir.«
Bromsen nickte.
»Vielleicht ist das ein Teil des Geheimnisses. Dass wir alle zusammen darin stecken?«
Eva fasste sich an den Kopf.
»Das weiß ich schon, seit ich den verdammten Zettel gefunden habe. Es muss etwas geben, das wir übersehenhaben. Eine versteckte Verbindung. Sehe ich betrunken aus?«
»Nicht besonders.«
»Sehr gut, dann gehen wir jetzt zu Kapitän Barret.«
Beide waren wach. Jeder saß in einem Sessel und las
Hulk
.
»Dürfen wir reinkommen?« Bromsen schob die Tür auf.
Eva setzte sich auf das rote Sofa und schlug einen munteren Tonfall an.
»Wir dachten, ihr hättet vielleicht Lust,
Lose Enden
zu spielen.«
Thomas glotzte sie an.
»
Lose Enden
?«
Eva legte den Kopf in den Nacken und schaute zur Decke hoch.
»Es geht darum, die eigenen losen Enden zu finden und sie mit den losen Enden der anderen zusammenzubringen.«
»Haben wir lose Enden?«, fragte Thomas.
»Haben wir etwas anderes?« Anders warf den Comic auf den Stapel der anderen Comics.
»Na gut«, sagte Eva. »Fangen wir an mit Pastor Schiøler. Ihr habt über ihn gesprochen, als wir in Gormsby waren.«
Anders nickte.
»Was wir im Museum gefunden haben, war ja von ihm geschrieben, von Frederik Schiøler. Er erwähnt die Schwestern Friis-Hansen, die aus einem Tuberkulosekrankenhausin Dar-es-Salaam kamen, wo ihr Vater als Arzt tätig war. Sie kannten die Familie Schiøler offenbar und wollten mit ihnen zusammen nach Hause fahren. Aber spannend ist das, was er über Tristan da Cunha schreibt.«
Anders holte die Kopien.
»Soll ich es euch vorlesen?«
»Sehr gern.«
Anders räusperte sich.
»Erst gestern Nacht haben Edward und ich von Tristan da Cunha gehört. Steuermann Flint behauptet, dass die Hottentotten von dort kommen. Seeleute berichten, die Insel bestehe aus einem riesigen Vulkan und sei umgeben von gefährlichem Nebel. Aberglaube, sagt der Missionar, wenn der Bootsmann von den vielen Schiffen erzählt, die auf unerklärliche Weise bei 37° 6’ südlicher Breite und 12° 1’ westlicher Länge verschwunden sind.«
Bromsen räusperte sich.
»Ein Bermudadreieck«, murmelte er.
Thomas nickte.
»Aber was ist mit der Familie Schiøler?«, fragte Eva.
»Die hatte vier Mitglieder«, sagte Anders.
Eva schaute auf.
»Vier?«
Thomas nickte.
»Außer Amalie hatten sie noch eine jüngere Tochter, nämlich Maria, aber die war wohl noch zu klein für die Reise nach Afrika.«
Bromsen bat ihn, einen Moment zu warten.
»Jetzt komm ich überhaupt nicht mehr mit«, sagte er. »Was für eine Tochter?«
Anders zeigte ihm das Foto der Pastorenfamilie, die vor ihrer Abreise in Dänemark verewigt worden war.
Bromsen sah Eva an.
»Schiøler hat also zwei Töchter, die ältere fährt mit nach Afrika, wo Väterchen Heiden bekehren soll, die jüngere kommt in eine Pflegefamilie. Sollte uns das etwas sagen?«
»Nicht unmittelbar.«
»Aber die Kleinere bleibt in Dänemark«, sagte Bromsen. »Und woher wissen wir das? Kann sie nicht auch an Bord gewesen sein?«
Thomas schüttelte den Kopf.
»Nicht nach der Liste, die Eva in der Jolly Nigger Bank gefunden hat.«
»Aber die Liste kann doch unvollständig gewesen sein?«
»Ja, das schon«, sagte Anders. »Aber das war sie nicht.«
Eva hob eine Hand.
»Moment mal«, sagte sie. »Wenn die jüngere Tochter in Dänemark geblieben ist … Gib mir die Kopie! Wie alt ist sie auf dem Bild? Ein halbes Jahr? Dann ist sie vielleicht 1930 geboren … vielleicht 1931.«
»1930«, sagte Anders.
»Das weißt du?«
»Ja, das weiß ich.«
»Aber dann ist es ja nicht unvorstellbar, dass sie noch lebt?«
Thomas sprang von der Fensterbank.
»Nein«, sagte er, »unvorstellbar ist das nicht, aber sie lebt nicht mehr.«
Bromsen ließ sich zurücksinken.
»Woher weißt du das?«
»Das weiß ich, weil wir auf ihrer Beerdigung waren.«
Bromsen starrte Eva an, die die Armlehne ihres Sessels umklammerte.
»Was sagst du da? Ihr wart auf ihrer Beerdigung? Auf
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