Das dunkle Netz der Lügen
Carolinchens Herkunft erzählt hatte. Vielleicht war es gut, dass er als Polizeichef nichts davon gewusst hatte. Aber sein Schwager Georg, das war ihm klar, würde die Sache nicht so gelassen hinnehmen.
«Was wird er wohl tun?», fragte Robert.
Lina seufzte. «Das werden wir noch schnell genug erfahren.» Sie hatte begonnen, sich anzukleiden, während sie mit Robert und Lotte sprach. «Lotte, wir müssen schnell zu Aaltje und sie schonend auf das vorbereiten, was kommt.»
Lotte nickte. «Ich habe große Angst um sie.»
«Deshalb müssen wir mit ihr reden, bevor Georg es tut.»
Als Lina mit Lotte das Zimmer verlassen hatte, saß Robert noch auf dem Bett. Er hätte seiner Frau noch eine Menge zu erzählen gehabt, von Simon zum Beispiel und von dem Verdacht, dass die Hinweise auf die Beute der Diebe aus ihrem Modesalon stammen könnten. Aber jetzt gab es wichtigere Dinge. Und er konnte die Zeit nutzen, dem ungeheuren Verdacht nachzugehen.
Als Zita in ihrem Kämmerchen in Marthas Hurenhaus erwachte, lag alles um sie in tiefer Stille. Sie dachte daran, dass sie früher auch um diese Zeit erst schlafen gegangen war. Sie nahm ihr Bündel und wollte sich leise hinausschleichen, doch auf der Treppe kam ihr Martha entgegen.
«Vielen Dank für das Bett, Frau Bromann», sagte Zita.
Die dicke Martha sah müde aus. Sie war in einem Alter, wo man nicht mehr spurlos die Nacht zum Tag machen konnte. Und auch wenn sie dem Gewerbe längst nicht mehr selbst nachging, musste sie Geld kassieren, Streit zwischen den Mädchen schlichten und wartende Freier bei Laune halten. «Ich habe mir überlegt, Zita, ob du nicht vielleicht hier wohnen bleiben möchtest.»
Zita sah zu Boden. «Ich … ich …»
«Du bist ehrbar geworden, das verstehe ich. Aber ich habe doch recht, dass du eine von uns bist, nicht wahr?»
Zita nickte. «Woran haben Sie das gemerkt?»
Martha lachte. «Ich hatte schon bei Frau Borghoff so einen Verdacht. Deine Chefin behandelt mich stets höflich und mit Respekt, auch wenn sie mich verständlicherweise bittet, nicht zu den Öffnungszeiten zu ihr zu kommen. Aber die ehrbaren Mädchen, die für sie arbeiten, die benehmen sich nicht so unbefangen wie du. Oder hatte man dir nicht gesagt, wer und was ich bin, als man dich bat, länger zu bleiben?»
«Doch, ich wusste es.» Zita sah ihr offen ins Gesicht. «Ich verachte niemanden, der in diesem Gewerbe arbeitet, Frau Bromann. Aber ich möchte nicht mehr dahin zurück. Nur in allergrößter Not.»
«Gut. Aber du sollst wissen – für eine wie dich ist hier immer ein Platz.»
«Danke.» Zita zwängte sich an Martha vorbei, dann drehte sie sich noch einmal um. «Frau Bromann …»
«Nun nenn mich schon Martha, Mädchen.»
«Martha – darf ich denn trotzdem bleiben, bis ich ein Zimmer gefunden habe? Zurzeit ist das schwierig, weil der Phoenix wieder Leute einstellt. Aber ich bezahle dafür.»
Martha lächelte. «Ist schon gut, Mädchen. Das Zimmer steht ohnehin leer, und für meine Mädchen ist es nicht fein genug. Bring dein Bündel ruhig wieder nach oben.»
Zita bedankte sich nochmals und trug ihre Habe zurück in das Kämmerchen. Von dort oben hinunter in den prächtig ausgestatteten ersten Stock, das war schon ein Unterschied. Feine Tapeten, kostbare Möbel und Vorhänge, alles in Rot und Schwarz. Wer hier arbeitete, musste schon einiges wert sein, dachte Zita. An einer Tür verabschiedete sich ein Mädchen von ihrem reichen Freier. Unten im Erdgeschoss gab es einfacher ausgestattete Hinterzimmer. Hier war es billiger, hier musste alles schnell gehen. Schon bist du wieder in einem Hurenhaus, ging es ihr durch den Kopf. Wer hätte das gedacht …
Wenig später saß Zita in der Borghoff’schen Küche beim Frühstück mit den anderen Angestellten, als Lina ihren Kopf hereinsteckte. «Ich bin heute Morgen nicht im Haus. Finchen wird im Laden mithelfen. Um elf kommt die junge Frau Liebrecht zur Anprobe, Zita, ich will, dass du dich um die Änderungen kümmerst.»
Sie eilte mit Lotte hinüber zur Carlstraße. Tineke berichtete Lotte, dass Georg Kaufmeister gerade aufgestanden war, aber seine Frau noch nicht besucht hatte, weil sie schlief.
«Wir müssen sie wecken», sagte Lina bestimmt, und obwohl Tineke protestierte, gingen sie zu Aaltje.
«Ich habe die ganze Zeit Angst davor gehabt, dass das passiert», sagte Aaltje. Sie wirkte erstaunlich ruhig. «Manchmal denke ich, wir hätten es ihm schon damals sagen sollen.»
Während sie noch
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