Das dunkle Netz der Lügen
am Esstisch, ihr Sohn Walther flößte ihr gerade etwas Wasser ein.
«Mein Beileid zum Tod Ihres Sohnes und Enkels», sagte Robert leise.
«Der Kleine ist tot?», fragte Jansen fast tonlos. Er ließ das Glas sinken und setzte sich.
«Darf ich?» Robert deutete auf einen Stuhl, und Jansen nickte.
«Die Kammer ist doch nicht das übliche Schlafzimmer Ihrer Frau?», begann er seine Befragung.
Walther Jansen schüttelte den Kopf. «Dort hat früher mein Geselle geschlafen. Ich musste mein Geschäft aufgeben, seitdem steht sie leer.» Er sah betreten zu Boden. «Wir haben uns gestritten, gestern Abend. Deshalb ist sie mit dem Kind in die Kammer.»
«Aber nicht zum ersten Mal, oder?» Robert war aufgefallen, dass ein gerahmtes Heiligenbildchen von der Muttergottes aus Kevelaer auf der Kommode gestanden hatte und die Kammer überhaupt viel wohnlicher wirkte als die eines Schustergesellen.
Die alte Frau Jansen rührte sich. «Sie haben oft Streit. Seit Anna bei Ihrer Frau arbeitet, hält sie sich für was Besseres. Verdient mehr als mein Sohn, wenn er bei einem der Schuster hier aushilft. Das ist nicht recht.»
«Mutter, wenn Anna die Stelle nicht hätte, wären wir längst im Armenhaus.»
«Haben Sie etwas gehört heute Nacht?» Robert wollte nicht, dass die beiden zu streiten anfingen.
Walther Jansen verneinte. «Ich … ich war betrunken. NachdemAnna sich in die Kammer gelegt hatte, bin ich hinüber ins ‹Schipperhuis›. Der Polizist musste mich aufwecken, ich habe nicht einmal meine Mutter schreien hören.»
«Ja», fauchte seine Mutter, die sich offenbar erholt hatte. «Und hast alles versoffen, was du gestern verdient hast. Und jetzt stehen wir da ohne Geld – und nicht einmal Anna bringt etwas nach Hause.»
«Wollen Sie nicht nach Ihrer Frau sehen?» Robert schaute ihn fordernd an. Er wusste, dass Annas Ehe nicht die beste war, sie hatte sich Lina anvertraut, als sie einmal mit einem blauen Auge zur Arbeit kam. Walther Jansen schienen weder der Tod seines Sohnes noch die schwere Verletzung seiner Frau besonders zu berühren. Aber er ging gehorsam hinaus.
«Sie haben Anna und den kleinen Walther heute Morgen gefunden?», wandte sich Robert an Frieda Jansen.
Die nickte. «Die Katholiken läuteten zur Frühmesse, und in der Küche war kein Feuer, keine Hafergrütze. Anna macht das gewöhnlich, bevor sie zur Arbeit geht. Sie kümmert sich ja sonst kaum um den Haushalt.» Man hörte den Vorwurf in ihrer Stimme. «Ich habe gedacht, sie hat es nicht gemacht, weil sie sich mit Walther gestritten hat. Aber dann sah ich, dass ihr Tuch noch am Haken hing. Da habe ich nachgesehen und fand sie in ihrem Blut.»
«Und das Fenster stand offen?»
«Ja. Weit offen. Es war eiskalt in dem Raum. Aber sie schläft immer bei geöffnetem Fenster, selbst wenn es so kalt ist, lässt sie es einen Spalt offen. Mein Walther ist schon krank geworden deswegen.»
Der Commissar sah sie scharf an. «Sie mögen Ihre Schwiegertochter nicht besonders, oder?»
«Nein, ich mag sie nicht. Binnen einem Jahr, nachdem Walther sie geheiratet hatte, haben wir alles verloren. Mein Sohn musste seine Schusterei aufgeben, weil seine Geschäfte nichtmehr liefen. Und er hatte viel von seinem Gesparten ausgegeben für Möbel und Geschenke für seine feine Frau. Dabei war die auch nur ein Hausmädchen gewesen.»
Robert konnte sich nicht vorstellen, dass die Anna, die er aus Linas Nähwerkstatt kannte, irgendeinen Luxus eingefordert hätte. Aber er wusste, dass Walther Jansen als Säufer bekannt war, weshalb ihn auch kein Schuster in der Stadt fest anstellte, sondern nur manchmal aushelfen ließ.
«Und jetzt stellt sie sich über ihn mit ihrer feinen Arbeit und dem guten Verdienst», fuhr die alte Jansen fort. «Da soll ein Mann nicht verzweifeln, wenn er nicht mehr der Herr im Haus ist?» Sie stockte. «Aber glauben Sie nicht, dass ich ihr so etwas gewünscht hätte, weiß Gott nicht. Und der arme Kleine!» In ihren Augen schimmerten ein paar Tränen. «Ich habe all das Blut gesehen, sie wird es wohl nicht überleben.»
«Das wird sich zeigen.» Robert erhob sich. «Ich möchte, dass Sie und Ihr Sohn sich im Haus ganz genau umsehen, wenn Sie sich von dem Schreck erholt haben. Sehen Sie nach, ob etwas fehlt. Wahrscheinlich ist es ein Dieb gewesen.»
Er ging wieder in die Kammer, wo Walther Jansen jetzt teilnahmslos in einer Ecke stand. Der Doktor fühlte der Verletzten gerade den Puls. «Wie sieht es aus?», wollte Robert wissen.
«Ihr Herz
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