Das dunkle Netz der Lügen
im Saal des Hotels Heckmann.
Die weniger feinen Leute, die Arbeiter, Angestellten und Schiffer waren hingegen auf dem Weg in die größeren Altstadtlokalitäten. Überall, wo die Räumlichkeiten geräumig genug zum Tanzen waren, hatte man kleine Kapellen engagiert, aber auch die kleineren Kneipen ohne Musik waren bis auf den letzten Platz gefüllt. Wer nicht tanzte, wollte wenigstens ordentlich trinken.
Ledige Hausangestellte und Arbeiterinnen brauchten keine Angst zu haben, nicht beachtet zu werden, denn es herrschteein großer Männerüberschuss. Die Phoenix-Arbeiter, die ohne Familien hergekommen waren, und die vielen Schiffer mussten anstehen, um einen Tanz zu bekommen.
In der Gesellschaft «Erholung» war der große Saal festlich geschmückt mit Laubgirlanden und Blüten. Rundherum standen die Tische, an denen zunächst ein Essen serviert wurde. Cornelius von Sannberg hatte eine große Tafel reserviert für sich und die Familien Kaufmeister und Messmer, zu denen er selbstverständlich auch Lina und Robert zählte.
Elise lächelte Lina bei der Begrüßung freundlich an. Sie war sehr blass und hatte versucht, es mit einem Hauch Rouge zu überdecken, sehr dezent, da es als unschicklich galt, aber Lina bemerkte es trotzdem.
Nach dem ausgezeichneten Essen versammelte sich der Männergesangverein, dem viele der anwesenden Herren angehörten, und gab ein paar Mailieder zum Besten. Danach eröffnete Bürgermeister Weinhagen mit seiner Frau den Tanz.
Schon bald wogten die Kleider der Damen an Lina vorbei, die mit Robert am Tisch sitzen geblieben war. Ein Meer von Farben und Stoffen, und Lina lächelte zufrieden. Der weitaus größte Teil der Kleider war in ihrer Werkstatt nach ihren Entwürfen entstanden. Sie hatte in diesem Jahr viele Pastellfarben verwendet, die gut zueinanderpassten, sodass ein sehr harmonischer Gesamteindruck entstand.
Elise hatte sich aus der Menge gelöst und kam zurück an den Tisch. Sie setzte sich, und Lina sah, dass sie noch ein wenig blasser wirkte und kleine Schweißperlen auf ihrer Stirn standen.
«Fühlen Sie sich nicht wohl, meine Liebe?»
«Mir war den ganzen Tag übel, ich dachte, es wäre besser geworden, aber da habe ich mich wohl geirrt», sagte Elise.
«Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?», bot Robert an.
«Das wäre wirklich nett», bedankte sich Elise.
«Und für dich ein Glas Maiwein, Lina?»
«Sehr gern.»
Wenig später war er wieder da. Elise trank das Wasser schnell. «Das tut sehr gut, danke.» Es schien auch wirklich wieder etwas Farbe in ihr Gesicht zurückzukehren.
Lina nippte an ihrem Maiwein, einem lieblichen, leichten Rheinwein aus der Pfalz, den man mit Waldmeister aromatisiert hatte. «Wenn sich Frau von Sannberg etwas erholt hat, möchte sie vielleicht tanzen», sagte sie ihrem Mann. Robert Borghoff tanzte gern, und Lina wollte nicht, dass er ihretwegen den ganzen Abend sitzen blieb.
«Erlauben Sie, Frau von Sannberg?»
Das Orchester begann gerade einen Walzer zu spielen. «Ja, sehr gern.»
Beide waren gute Tänzer. Lina ertappte sich dabei, wie sie mit dem Fuß wippte. Sie bemerkte gar nicht, dass Cornelius von Sannberg neben sie trat.
«Die beiden sind sehr elegant, nicht wahr?»
«Ja. Ich gäbe sehr viel darum, wenn ich mit Robert tanzen könnte.»
«Du siehst so hinreißend aus, Lina, dass es alle vor Neid zerreißen würde. Ich werde meiner Frau empfehlen, ein solches Kleid zu tragen, wenn wir das nächste Mal in Berlin oder Paris sind.»
Lina lachte. «Ich glaube, du bist der einzige Mann hier in Ruhrort, der die Raffinesse eines Kleides bemerkt. Aber es stimmt. Auch Elise würde solch ein Kleid hervorragend stehen.»
«Sie spricht mit großer Hochachtung von dir, Lina. Ich glaube, sie würde sich gern mit dir anfreunden.»
Lina sah ihn etwas erstaunt an. «Nun, ich hätte nichts dagegen.» Sie sah, dass zwei Tische weiter Friederike Haniel ihrwinkte. «Ich glaube, Tante Fritze möchte etwas von mir, entschuldige mich bitte.»
Zita hatte beim Tanz in der «Laterne» alle Blicke auf sich gezogen in ihrem feinen roten Kleid. Um keinen Streit zu bekommen, hatte sie manchmal auch mit einem anderen Mann getanzt, sofern er höflich darum gebeten hatte, aber die meiste Zeit tanzte sie mit Hermann.
Sie trafen Grete und ihren Mann, die aber schon auf dem Weg nach Hause waren, weil sie den kranken Vater nicht so lange allein lassen wollten. «Susanna und Antonie haben wir bei Lohbeck getroffen, aber da war es uns zu teuer», erzählte
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