Das dunkle Netz der Lügen
entdeckt werden. Verrat an Lina und ihren Kundinnen, die alle anständig zu ihr gewesen waren, wie sie es selten erlebt hatte. Verrat an Hermann, den sie unaufhörlich in Gefahr brachte, entdeckt zu werden. Es war schön gewesen, in seinen Armen zu liegen. Aber dieses gute Gefühl konnte den Moment nicht überdauern.
Robert hatte Lina tatsächlich ins Bett geschafft und wollte sich gerade selbst entkleiden, als es unten heftig an die Tür pochte. Es war Polizeidiener Kramer, der als Neuer freiwillig den Dienst in der Nacht zum Ersten Mai übernommen hatte. «Herr Commissar, Herr Commissar», rief er. «Kommen Sie schnell, es ist dringend!»
Lina, die bereits eingeschlafen war, erwachte kurz, aber nach einem Blick auf Robert drehte sie sich um und war gleich wiederweggenickt. Robert trat ans Fenster, er wollte nicht, dass Kramer die ganze Straße weckte.
«Ruhig, Kramer, ich bin sofort da.»
Gleich darauf stand er unten auf der Straße. «Was ist passiert?», fragte er.
«Einbrüche», sagte der Polizeidiener. «Gleich drei sind gemeldet worden, ich fürchte aber, es könnten mehr sein.»
«Wieso das?»
«Ich war im Haus der Haniels. Herr und Frau Haniel hatten gar nichts bemerkt, erst ihr Hausdiener, der eben von der Maitanzerei nach Hause kam, sah, dass ein Fenster eingeschlagen war. Er weckte seine Herrschaften, und dann entdeckte man, dass Schmuck und Geld fehlten. Im Schlafzimmer und im Arbeitszimmer gab es fast keine Hinweise, dass etwas durchwühlt worden war. Und dann meldeten sich von Eickens, dort gab es das gleiche Bild. Schließlich Gustav Stinnes.»
«Haben Sie die anderen Polizisten benachrichtigt?»
Kramer nickte. «Inspektor Ebel ist ziemlich betrunken, aber die Frau von Polizeidiener Schröder kocht ihm gerade einen Kaffee. Die anderen müssten schon im Rathaus sein.»
«Dann los.»
Die beiden gingen hinüber zum Rathaus. Dort wartete bereits der Bürgermeister.
«Das wäre aber nicht nötig gewesen, dass du hierherkommst, William», sagte Robert.
«Ich bin nicht als dein Vorgesetzter hier, Robert. Bei mir wurde ebenfalls eingebrochen.»
Drei der verschlafenen Polizeidiener machten sich daran, die Fälle aufzunehmen. Die aufgeregten Opfer, meist in Begleitung ihres Hauspersonals, redeten wild durcheinander, bis Robert Ruhe gebot.
«Solange es dunkel ist, werden wir nicht viel tun können. Wir werden uns jeden einzelnen Tatort ganz genau ansehen.Bitte gehen Sie nach Hause, wenn Sie Ihre Angaben hier gemacht haben. Sie sollten eine Liste aller gestohlenen Gegenstände machen, vielleicht sogar Zeichnungen anfertigen von besonders markanten Schmuckstücken.»
Er wandte sich an den Bürgermeister. «Ich möchte ein Amtshilfeersuchen an die Gendarmerie der Landgemeinde Mülheim richten. Berittene können am ehesten die Umgebung schnell durchkämmen, und ich kann mich mit unseren Leuten auf Ruhrort selbst und die Fähren konzentrieren.»
Gewöhnlich lehnte der Bürgermeister es ab, Hilfe von außerhalb zu holen, aber er sah ein, dass es bei einem so generalstabsmäßig geplanten Verbrechen wichtig war, schnell und entschieden zu handeln.
«Einverstanden. Ich kümmere mich darum.»
Kurz darauf brach ein Polizeidiener mit dem offiziellen Schreiben nach Mülheim-Saarn auf.
Zwei Stunden später war das ganze Ausmaß des Raubzuges klar. In acht Häusern der reichsten Ruhrorter war eingebrochen worden, meist war keiner der Bewohner da gewesen, weil sowohl Herrschaften als auch Hauspersonal in den Mai getanzt hatten. Dort, wo die Diebe jemanden angetroffen hatten, was bei zweien der Häuser der Fall war, hatten sie das anwesende Hauspersonal schnell überwältigt, gefesselt und geknebelt – wie bei den Liebrechts. Keines der Opfer hatte ein Gesicht erkennen können, da die Einbrecher Tücher vor das Gesicht gebunden hatten. Und gesprochen hatten die Eindringlinge auch nicht. «Wir können von Glück sagen, dass sie die Leute nicht getötet haben», sagte Robert.
«Das war lange geplant und gut durchdacht.» Der Bürgermeister war sehr wütend darüber, dass auch er selbst zu den Opfern gehörte.
Robert nickte. «Sie müssen die Häuser über längere Zeit ausgekundschaftet haben.»
«Wie willst du sie fassen?»
«Wenn wir Pech haben, sind sie längst über alle Berge. Mal sehen, was die Befragung der Fährmänner ergibt, wenn sie nicht sogar selbst Boote hatten.» Robert tippte auf den Stapel mit den Berichten. «Aber bei der Menge, die gestohlen wurde, haben sie die Beute vermutlich
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