Das dunkle Netz der Lügen
denn er fühlte sich als Polizeichef immer im Dienst.
Inzwischen hatte der Klavierspieler begonnen, ein paar frecheLieder zu singen, in die die letzten Anwesenden mehr oder weniger wohlklingend einfielen. Robert beugte sich zu seiner Frau hinüber. «Sollten wir nicht langsam nach Hause gehen, Lina?»
«Ich glaube, ich bin zu betrunken, Robert», sagte Lina mit schon etwas schwerer Zunge, aber sie lachte dabei.
«Ich werde dich schon heimschaffen!» Robert stand auf und suchte nach Linas Stock, den sie zu Beginn des Abends in einer Ecke abgestellt hatte. Er reichte ihn Lina und half ihr dann beim Aufstehen. Amüsiert beobachtete er, wie seine Frau leicht schwankte.
Lina kniff die Augen zusammen. «Ich weiß, dass du immer viel Spaß hast, wenn deine Frau ein wenig aus der Rolle fällt. Aber ich werde dir beweisen, dass ich noch sehr gut allein zurechtkomme.»
Sie stellte sich aufrecht hin, umklammerte den Stock und machte zwei Schritte vorwärts. Dann musste Robert sie allerdings auffangen, denn in ihrem Zustand konnte sie ihren schon nüchtern schwankenden Gang nicht ausbalancieren.
«Ich halte dich», sagte er, und sie bemerkte sein breites Grinsen. Sie verabschiedeten sich von dem tapferen letzten Geschwader des Maiballs und machten sich auf den Weg.
«Du hast recht, Lina», sagte er draußen und hielt an, um ihr einen verwegenen Kuss auf das Dekolleté zu geben, «ich liebe es, wenn meine strenge Geschäftsfrau sich für eine Weile in ein kicherndes junges Mädchen verwandelt. Ein Hoch dem Alkohol!»
«Ich werde schlimme Kopfschmerzen haben morgen früh», murmelte Lina. Aber durch die frische Nachtluft fühlte sie sich schon ein klein wenig nüchterner.
«Ja, ohne Zweifel wirst du das», bestätigte er. «Das sieht nach viel Kaffee mit Zitrone aus.»
«Bähhh!», sagte Lina.
«Es hilft!»
«Dann leide ich lieber.»
Schließlich waren sie am Haus angekommen. Im Flur lehnte Robert Lina spaßeshalber an die Wand, als würde sie jeden Moment umkippen können.
«Robert?»
«Ja?»
«Tanz mit mir.»
Er sah sie entgeistert an. «Was?»
«Ich habe es mal versucht, als junges Mädchen, aber es sah so furchtbar aus, dass ich es nie in aller Öffentlichkeit tun wollte. Aber heute Abend, als du mit Elise von Sannberg getanzt hast … Du warst so elegant. Bitte, tanz mit mir!»
Er legte seinen Arm um ihre Taille und nahm sie bei der Hand. «Walzer?», fragte er.
«Ja, Walzer», flüsterte sie.
Ganz langsam begann er sie zu führen, hielt sie fest an sich gedrückt und glich die ungeschickten Schritte des hüftsteifen Beines einfach dadurch aus, dass er sie ein wenig hochhob. Als sie sich sicherer fühlte, steigerte er das Tempo.
Lina fühlte sich, als würde sie schweben. Sie hatte die Augen geschlossen, ihr war schwindelig vom Alkohol, dem Tanz und dem Glück. Schließlich hörte Robert auf. «Tut mir leid», sagte er, «aber länger macht das mein kaputter Rücken nicht mit. Ich werde dich leider nicht die Treppe hinauftragen können, du Verrückte.»
Lina öffnete die Augen. «Einen Moment waren wir ganz jung, hast du es gespürt?»
«Ich spüre es immer, wenn du mir so nah bist», sagte er ernst. «Komm, versuchen wir es mal mit der Treppe.»
Zita lag wach in dem engen Bett. Neben ihr schlief Hermann. Nach dem Kuss bei der Tanzerei hatten sie das Lokal schnell verlassen und waren nach Hause gegangen. Beide konnten eskaum abwarten, dem anderen noch näher zu sein. Sie hatten einander nach allen Regeln der Kunst verwöhnt, Hermann, der Frauenheld, und Zita, die erfahrene ehemalige Hure. Nun fragte sie sich, was da geschehen war. Waren hier nur zwei einsame Menschen zusammengekommen, die lange keine körperliche Liebe mehr erlebt hatten?
Zita kamen die Worte des Greifers wieder in den Sinn.
Du musst ja ganz ausgehungert sein,
hatte er gesagt, als er ihr auf die ihm eigene perfide Art Gewalt angetan hatte. Und plötzlich wünschte sie, dass da mehr war als nur Begierde. Hermann war ihr vertraut geworden, vertrauter, als er ihr je als Freund ihres Mannes gewesen war. Ja, sie hatte es satt, allein zu sein. Sie wollte wieder einen Mann, der sie liebte und stützte, so wie Tomasz, der sie aus dem Hurenleben herausgeholt hatte. Und sie wollte ihr Kind bei sich haben.
Den ganzen Abend hatte sie nicht an die Greiferbande, an Kellerer und Weingart gedacht. Dies war die Nacht, in der sie zuschlagen wollten, ganz plötzlich fiel es ihr wieder ein. Und auf einmal hatte sie Angst, ihr Verrat könnte
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