Das Dunkle Netz Der Rache
kennt diesen Landstrich. Er ist seit dem Bürgerkrieg im Besitz unserer Familie. Sie und ich sind durch diese Wälder gestreift, seit wir laufen konnten. Es macht ihr nicht mehr Angst als Ihnen ein Bummel um den Block nach dem Abendessen.« Erneut drehte er seine Haare zu einem Pferdeschwanz. »Aber das bedeutet nicht automatisch, dass sie sich nicht verirren könnte. Mir selbst ist es bei mehr als einer Gelegenheit passiert, aber Gott sei Dank immer bei Tageslicht, so dass ich vertraute Stellen wiedererkennen und mich von dort zurück nach Hause arbeiten konnte.« Er sah zur Tür, als erwartete er, dass seine Schwester im nächsten Augenblick hereinstürzte. »Ich habe Vertrauen zu ihrer Wandererfahrung. Wenn sie merkt, dass sie sich verirrt, würde Millie sich sofort hinkauern und Schutz suchen.«
Das musste sie auch. Gestern Nacht hatten die Temperaturen bei minus zwölf gelegen, und auch jetzt fror es vermutlich noch. Falls sie klug genug gewesen war, sich mit Kiefernzweigen gegen den Wind zu schützen und sich in toten Blättern einzugraben, gab es keinen Grund, anzunehmen, dass es ihr nicht gutging. Verängstigt und unterkühlt, aber gut. Es sei denn …
»Besteht die Möglichkeit, dass sie absichtlich verschwunden ist? Vielleicht ist sie in die Stadt gefahren, um sich mit jemandem zu treffen?«
Van der Hoeven schüttelte den Kopf. »Ihr Auto steht in der Garage.« Seine Aussprache war eigentümlich, er betonte auf der ersten Silbe.
»Könnte jemand hierhergekommen sein, um sie zu treffen? Nachdem Sie zu Bett gegangen waren?«
»Nein. Na ja …« Van der Hoeven zögerte. »Es ist nicht ausgeschlossen, aber verdammt unwahrscheinlich. Ich habe nicht oft Gäste.« Sein Kopf zuckte nach links. »Und meine Schwester lebt nicht hier. Sie ist nur zu Besuch.«
»Keine alten Freunde in der Gegend?«
»Keine, die sich mir vorgestellt hätten.«
Russ hielt das für eine verdammt eigenartige Antwort auf seine Frage. Aber andererseits fühlte sich van der Hoeven im Umgang mit anderen Menschen unbehaglich. Russ suchte gerade nach einer höflichen Methode, tiefer in Millies Privatleben zu bohren, als es an der Haustür klingelte. Eugene sah ihn schmerzerfüllt an, bevor er sich entschuldigte. Armer Bastard. Er traf heute vermutlich mehr Menschen als sonst im Lauf eines ganzen Jahres.
Ed Castle gesellte sich zu Russ, während er sich Muffinkrümel aus dem Gesicht wischte. »Wo bleibt der Mordverdacht?«
Russ zuckte die Schultern. »Eine Frau wird vermisst. Es ist mein Job, Fragen zu stellen.«
»Ich dachte, du hättest heute frei?«
Wie Linda. Wie jeder mit einem normalen Job: Entweder man arbeitete, oder man arbeitete nicht. »Dass ich frei habe, heißt nur, dass ich nicht an meinem Schreibtisch sitzen oder Streife fahren muss. Ich bin im Dienst, wie ich immer im Dienst bin. Verbrechen macht keine Pause und all das.«
Ed grunzte.
An der Tür, die sie von ihrem Ausschnitt des Wohnesszimmers sehen konnten, traten sich zwei Männer die Stiefel ab und bürsteten über ihre Jacken, ehe sie das große Haus betraten. Russ hörte Huggins’ Stimme von den Deckenbalken widerhallen. »Mr. van der Hoeven! Hoffentlich macht es Ihnen nichts aus, uns schon wieder zu sehen. Fürchte, wir kommen mit leeren Händen. Dürfen wir die Waschräume benutzen und uns Kaffee holen?«
Eugene murmelte etwas von seiner Haushälterin, die ihnen Frühstück machen würde, während die Männer der Rettungseinheit behutsam durch die Tür traten: Russ’ Teilzeit-Officer Duane, Dan Hunter, der bei der AllBanc arbeitete, Huggins’ Cousin Mike und am Ende der Schlange die »Dame«, die Eugene erwähnt hatte.
Sie streifte die Strickmütze ab, und ihre Haare in der Farbe von Sonnenschein hinter Whisky ergossen sich in wirren Locken auf ihre Schultern. Ihre scharfe Nase und die hervortretenden Wangenknochen waren rot vor Kälte, ihre Lippen blass und aufgesprungen, und ihr Parka und die fleckigen Köperhosen verbargen jede Andeutung einer Figur.
Als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er sie für schlicht gehalten. Er konnte sich an den Gedanken erinnern, an seine nüchterne Bestandsaufnahme ihres Gesichts und ihrer Figur. Wann war sie in seinen Augen schön geworden? Sie lachte über etwas, das Duane sagte, und drehte sich immer noch lachend um, und in diesem Moment trafen sich ihre Blicke.
Oh, Liebes.
8:45 Uhr
Das Funkgerät an ihrer Seite knisterte. »Fergusson?«
»Hier Fergusson.«
»Was gefunden?«
»Eine Menge Bäume. Aber
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