Das Dunkle Netz Der Rache
fröhlicher, aufmunternder Ton kratzte an Shauns Nerven wie Nägel auf einer Tafel. »Reid-Gruyn kann sich auf dem Gebiet der Spezialpapiere einen Namen machen. Ein Erbe, das Sie Jeremy hinterlassen könnten.«
»Aber ich würde für andere arbeiten! Sie würde nicht mir gehören!« Shaun kniff die Lippen zusammen. Allmächtiger, er klang wie ein weinerliches Kleinkind.
Terry zog die Augenbrauen hoch. Zwei wollige Planierraupen auf dem Weg zum Glatzenberg. »Sie arbeiten schon jetzt für andere«, bemerkte er. Er sprach in sanftem, vernünftigem Ton wie zu einem aufgeregten Vorschulkind. Shaun bekam einen heißen Kopf. »Die Familie Reid besitzt neunundvierzig Prozent der Firma. Die übrigen Anteile halten Einzelinvestoren oder Gesellschaften.«
Zu denen, wie sich zu sagen erübrigte, die AllBanc gehörte.
»Richtig. Ich habe mich falsch ausgedrückt.« Shaun lehnte sich zurück und ließ den Arm über die Rückenlehne seines Stuhls baumeln, eine Geste, von der er verzweifelt hoffte, dass sie lässig wirkte. »Ich wollte sagen, dass wir die Kontrolle vor Ort verlieren. Entscheidungen die Fabrik, die Angestellten, die Dividendenzahlungen betreffend – sie würden dann in Malaysia getroffen. Wir beide haben zu viele Firmen im Washington County gesehen, die aufgekauft und dann ruiniert wurden. Mit mir an der Spitze wissen Sie, dass die Bedürfnisse unserer Gemeinde im Vordergrund stehen. Geld ist für mich nicht alles, das wissen Sie.«
»Das ist richtig.« Terry starrte ihn mit seinen braunen Augen an. Braun, braun, braun – Shaun war nie bewusst geworden, wie sehr der Bankangestellte einem Seehund ähnelte. Einem traurigen Seehund. »Und ich respektiere es. Unglücklicherweise muss ich als Mitarbeiter der Bank Geld an erster Stelle setzen. Ich fürchte, ich kann einen zusätzlichen Kredit an Reid-Gruyn nicht genehmigen.«
»Dann geben Sie mir ein privates Darlehen. Wir beide wissen, dass ich über ausreichende Sicherheiten verfüge. Ich kann genug Aktien kaufen, um den Familienanteil auf einundfünfzig Prozent aufzustocken. Damit kann ich Übernahmeversuche bis in alle Ewigkeit abwehren.«
Terry schreckte zurück. »Das wäre Insiderhandel, Shaun. Wenn GWP das Angebot veröffentlicht, wird der Kurs in die Höhe schießen. Wenn Sie in dem Wissen, dass das Angebot innerhalb weniger Tage vorliegen wird, im Voraus kaufen …«
»Dann gewähren Sie mir einen Kredit zur Hausrenovierung. Mir ist egal, was in den Verträgen steht, ich brauche einfach das Geld, und ich brauche es bis Montag.«
Terrys Seehundblick wurde hart. »Nein. Die Börsenaufsicht würde über Sie herfallen. Die würden sich den Kredit ansehen und als Erstes die Akten der Bank zum Angebot der GWP registrieren. Ihnen mag egal sein, wenn Sie drei bis fünf Jahre im Gefängnis sitzen, aber mir, verdammt noch mal, nicht.«
»Aber …« Das Telefon klingelte. Terry hob den Finger und nahm den Hörer von der Gabel.
»Terry McKellan«, meldete er sich. Seine Planierraupenbrauen wanderten empor, und er sah Shaun an. »Hi. Sind Sie auf der Suche nach Ihrem Mann?« Shaun erstarrte. Er hatte Courtney nichts von diesem Termin gesagt. Wie hatte sie ihn gefunden? »Ich verstehe Ihr Problem«, sagte Terry. Shaun verschränkte die Hände über dem Knie. Lässig, lässig. »Saratoga. Ich glaube, das ginge. Wie heißt der Laden?« Terry kritzelte etwas auf einen Notizblock. »Sicher. Ist mir ein Vergnügen. Ich denke, ich könnte in zwei Stunden damit zurück sein. Wäre Ihnen damit geholfen?« Er sah wieder Shaun an. »Okay, bis dann.« Er legte auf.
»Das war Courtney«, erklärte er. »Sie ist in St. Alban’s. Etwas ist schiefgegangen, und jetzt fehlen ihnen die kleinen Förmchen für die Quiches, die es bei dem morgigen Empfang geben soll.« Er riss den Notizzettel ab. »Deshalb habe ich Anweisung, zu einem Küchengeschäft in Saratoga zu fahren und zweihundert von den Dingern zu besorgen.« Er stand auf.
»Aber … das Darlehen?« Shaun blieb sitzen. Er wollte sich nicht eingestehen, dass das Gespräch beendet war. Beendet und ein totaler Fehlschlag.
»Es tut mir leid, Shaun.« Terry schüttelte den Kopf. »Es wird kein Darlehen geben. Ich weiß, wie hart das für Sie ist, aber vielleicht wäre es das Beste, wenn Sie sich eingestehen, dass sich die Zeiten ändern und Firmen, genau wie Menschen, eine natürliche Lebensspanne besitzen. Vielleicht sollten Sie die lebenserhaltenden Maßnahmen einstellen und Reid-Gruyn gehen lassen.«
10:35 Uhr
Clare
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