Das Dunkle Netz Der Rache
keine Gedanken«, sagte Huggins. »Diese Jungs haben wesentlich mehr Erfahrung als Sie. Sie waren natürlich nicht in der Army, aber es wird schon gehen.« Sie glaubte im Hintergrund Gelächter zu hören, ehe er die Verbindung unterbrach. Sie biss die Zähne zusammen. Sie nahm an, dass die Ersatzleute, abgesehen von ihrer Erfahrung, über eine Ausrüstung verfügten, auf die Huggins den allergrößten Wert legte: einen Penis.
Sie wartete, bis sie sicher war, dass ihre Stimme wieder zivilisiert klang, ehe sie antwortete. »Geben Sie mir Ihre Koordinaten, dann bringe ich die Sachen direkt zu Ihnen.«
Huggins nannte ihr die Daten, und innerhalb von zwanzig Minuten reichte sie ihre topographische Karte und das GPS einem netten jungen Mann, dessen wetterfeste Kleidung an einem schweren Anfall von Labelmanie litt. »Danke«, sagte Huggins. »Wenn wir Sie wieder brauchen, rufe ich an.«
»Rufen Sie an, wenn Sie das nächste Training ansetzen«, erwiderte sie in ruhigem, aber eindringlichem Ton. »Ich werde Ihnen wenig nützen, wenn ich nicht besser werde.«
Huggins grunzte.
»Noch keine Hunde?«, fragte sie.
»Sie suchen immer noch die alte Dame in Plattsburgh. Die Suche hat Priorität. Finde ich selbst auch. Für ein junges Mädchen in warmen Klamotten und Stiefeln stehen die Chancen dort draußen verdammt viel besser als für eine verwirrte alte Dame im Schlafanzug.«
Clare schauderte, verabschiedete sich und machte sich auf den Weg nach Haudenosaunee. Sie fragte sich, ob sie sich jemals daran gewöhnen würde, in einer Gegend zu leben, in der ein Spaziergang im eigenen Garten potenziell tödlich sein konnte. Komisch. Sie hatte am episkopalischen Seminar in Virginia studiert, im schmalen vorstädtischen Streifen von Arlington County gelebt, bisweilen in Washington gearbeitet, einer Stadt, die unter anderem für ihre hohe Kriminalitätsrate berüchtigt war. Doch sie hatte ihre Umgebung nie als bedrohlich empfunden, vielleicht, weil sie davon ausging, letzten Endes mit anderen menschlichen Wesen verhandeln zu können, argumentieren – oder, wie es einmal bei einem Überfall passiert war, einfach ihre Tasche herzugeben. Aber mit den Adirondacks gab es keine Verhandlungen, nichts, womit man sich von sechs Millionen Morgen Urwald, reißenden Flüssen und versteckten Seen freikaufen konnte. Ganz zu schweigen von der eiskalten Luft, die aus Kanada herantrieb, und den vernichtenden Schneestürmen, die aus dem Norden vom Lake Ontario herüberwehten.
Die Wälder wichen einer Feuerschneise, die wiederum in einen Weg zwischen den Bäumen überging. Als sie die Steinmauer erreichte, die Haudenosaunees Gärten von der Wildnis trennte, war sie hin-und hergerissen. Sie konnte anklopfen und versuchen, mit van der Hoeven zu reden, oder nach Millers Kill verschwinden, wo ihre Kirche, ihre Helfer und eine heiße Dusche sie erwarteten. Großmutter Fergusson half ihr auf die Sprünge. Eine Dame bricht nie auf, ohne sich bei ihrem Gastgeber zu bedanken. Sie wusste, dass die Ausrede, zur Suchmannschaft zu gehören, ihre Großmutter nicht erweichen würde.
Als sie durch die Haustür eintrat, war van der Hoeven nirgendwo zu sehen. Die Bürotür stand offen, aber keinerlei Geräusche oder Bewegungen wiesen darauf hin, dass sich jemand darin befand. Auf dem Weg zur Küche fiel ihr auf, wie behutsam sie auftrat, als befände sie sich in einem Museum. Der Vergleich passte, denn Haudenosaunee wirkte trotz der schönen Möbel und prachtvollen Teppiche seltsam leer, als wäre es bereits für den Winter geschlossen und die Familie in ihre wirklichen Leben zurückgekehrt.
Sie öffnete die Küchentür. Die Haushälterin, die gerade den Hörer auflegte, schrak zusammen und presste die Hand aufs Herz.
»Entschuldigung!« Clare hob die Hände in der universalen »Ich tu nichts«-Geste. »Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich breche jetzt auf und wollte mich vorher noch von Mr. van der Hoeven verabschieden.«
Lisa lächelte matt. »Ich schätze, ich bin nicht daran gewöhnt, dass noch jemand hier ist, wenn ich putze.« Mit besorgter Miene trat sie näher. »Fahren Sie in die Stadt? Darf ich Sie um einen Gefallen bitten?«
»Natürlich. Was denn?«
»Mein Auto steht in der Werkstatt, und mein Mann sollte mich abholen, aber er ist nicht gekommen, und wenn ich anrufe, geht niemand ans Telefon. Ich würde ja Mr. van der Hoeven fragen, aber er verlässt Haudenosaunee nur ungern.« Sie warf einen flüchtigen Blick in die hintere Ecke der Küche, wo,
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