Das Dunkle Netz Der Rache
ein bisschen umzuschauen, und dabei haben sie ihre Brieftasche gefunden. Sie heißt Becky Castle.«
Clare spürte, wie ihr Kiefer herunterklappte wie bei einer Comicfigur.
»Der Name Millie van der Hoeven wurde nie registriert, weil Chief Van Alstyne direkt nach ihrer Einlieferung angerufen hat, um Bescheid zu sagen.«
»Ich habe sie heute noch gesehen! Becky Castle! In Haudenosaunee!«
Alta sah sie scharf an. »Tatsächlich?« Sie ging um den Tresen herum und ergriff Clares Ellbogen. »Kommen Sie mit. Holli!«, rief sie zum Büro herüber. »Komm zurück. Du bist im Dienst!« Sie steuerte mit Clare zum Aufzug.
»Warum nehmen Sie mich mit?«, fragte Clare, während sich die Aufzugtüren öffneten und wieder hinter ihr schlossen.
»Die Eltern der Patientin sind gerade eingetroffen. Die Mutter hat nach einem Geistlichen gefragt.«
»Dr. Feely hat diese Woche Dienst.«
»Er hat noch nicht auf den Pieper geantwortet. Sie sind hier.« Der Aufzug klingelte. Alta schob sie hinaus in den dritten Stock.
»Aber …« Clare zupfte an ihrer schmutzigen Kleidung herum. Alta musterte sie mitleidslos. »Ich hatte angenommen, ich würde Eugene van der Hoeven treffen. Er hat mich schon so gesehen.«
»Sie haben nach einem Geistlichen gefragt, nicht nach einem Model.« Sie bemächtigte sich wieder Clares Ellbogens und führte sie zum Wartezimmer der Chirurgie. »Dort sind sie. Los.«
»Was ist mit ihrer Tochter?«, zischte Clare.
»Sie ist im OP. Innere Blutungen.« Alta gab ihr einen leichten Schubs. »Vermutlich wird sie überleben«, fügte sie hinzu, mit der Schonungslosigkeit einer Veteranin, die seit fünfundzwanzig Jahren an der Front stand.
Clare erkannte Ed Castle sofort als den Mann, den sie morgens kennengelernt hatte. Sie hätte sich treten können, weil sie die Namen nicht miteinander in Verbindung gebracht hatte. Ständig vergaß sie eines der grundlegenden Gesetze von Millers Kill: Alle Menschen mit demselben Nachnamen waren in irgendeiner Weise miteinander verwandt.
Als Russ sie einander vorstellte, hatte Ed eine reflektierende Weste und eine Tarnjacke getragen. Jetzt, in Flanellhemd und gefütterter Jacke, wirkte er weicher und auf undefinierbare Weise verletzlicher. Er war fast kahl, und auf seinem sonnengebräunten Gesicht zeichnete sich über der Stirn ein heller Streifen ab wie bei einem Bauern. Er saß dort, das Gesicht in den Händen vergraben, und sie konnte seinen Nacken sehen, der von den Jahrzehnten in der freien Natur gezeichnet war.
Die Frau neben ihm war wie Ed Anfang sechzig. Ihr helles Make-up war mit Wimperntusche verschmiert, und der Lippenstift war von ihrem Mund verschwunden. Trotz ihrer unwahrscheinlich blonden Haare sah sie alt aus, verbraucht von langen Jahren harter Arbeit oder von dem Druck der jüngsten Ereignisse.
»Verzeihen Sie«, sagte Clare mit leiser Stimme. »Mr. Castle? Ich bin Clare Fergusson. Wir haben uns heute Morgen in Haudenosaunee kennengelernt. Ich gehörte zu der Mannschaft, die nach Millie van der Hoeven gesucht hat.«
Er sah sie mit leeren Augen an. »Oh«, sagte er. »Die Pastorin. Tut mir leid, ich habe Sie nicht erkannt.« Er wies auf die Frau neben sich. »Das ist meine Frau Suzanne.«
Ihre guten Manieren veranlassten die Frau automatisch, Clare anzulächeln, als freute sie sich wirklich, sie kennenzulernen, hier im Krankenhaus, wo sie auf Nachricht von ihrer Tochter wartete. Wenn der Schmerz nicht an ihr frisst, dachte Clare, ist ihr Gesicht bestimmt sanft und hübsch.
»Wie war gleich noch Ihr Name, Liebes?«
»Clare Fergusson. Ich bin Priesterin von St. Alban’s, der episkopalischen Kirche. Man hat mir gesagt, Sie hätten nach einem Geistlichen gefragt. Kann ich irgendetwas für Sie tun? Jemanden anrufen vielleicht?«
Der Blick der älteren Frau wanderte ziellos durch das Wartezimmer. »Mein jüngerer Enkel ist schon hier. Ich habe ihn zum Souvenirladen geschickt, den armen Kerl. Es ist schwer für ihn, einfach hier zu sitzen und zu warten.«
»Und schwer für mich, ständig seinen Gameboy zu hören«, knurrte sein Großvater.
»Unsere andere Tochter Bonnie arbeitet heute oben im neuen Hotel. Ich habe ihr dort eine Nachricht hinterlassen. Und auf ihrem Anrufbeantworter daheim. Ich bin sicher, dass sie kommt, sobald sie sie kriegt.« Sie lächelte wieder, aber die Anstrengung schien zu viel für sie, und der Ausdruck glitt von ihrem Gesicht.
In diesem Moment betrat eine Frau mit dunkelblonden Haaren und geröteten Augen das Wartezimmer. »Mom?
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