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Das Dunkle Netz Der Rache

Das Dunkle Netz Der Rache

Titel: Das Dunkle Netz Der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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den Nacken und schloss die Augen. Er verabscheute es. Verabscheute es zutiefst. Er lebte in der Stadt, in der er geboren und aufgewachsen war, aber Leute, die er als »Freunde« bezeichnete, konnte er an einer Hand abzählen. Und soeben hatte er einen davon verloren. Er zog das Handy aus der Tasche. Natürlich keine Verbindung. Er seufzte und lief über die Einfahrt zum Funkgerät in seinem Pick-up. Er hatte geglaubt, kein Geburtstag könnte furchtbarer werden als sein zwanzigster. Damals hatte er mit seiner Einheit den ganzen Tag unter schwerem Beschuss gelegen. Im Verlauf des Nachmittags hatte er zugesehen, wie Gary Weyer, der Funker, langsam verblutete, und als endlich Unterstützung aus der Luft eintraf, hatten die irren Helikopterpiloten sie fast in die Luft gejagt. Sein Kumpel Mac wiederholte ständig: »Wenigstens regnet es nicht! Wenigstens regnet es nicht.« Er öffnete die Tür und griff nach dem Mikro. »Wenigstens regnet es nicht!«, ermahnte er sich.

14:00 Uhr
    Shaun hörte die Sirene, ehe er den Wagen sah. Er war einige Minuten zuvor in der Stadt eingetroffen und kurvte jetzt ziellos herum, von der Main zur Church und über die Elm zur Washington, während er über den Makel in seinem Plan nachdachte, den Verkauf Haudenosaunees an diesem Abend zu unterbinden.
    Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo er das Mädchen lassen sollte.
    Zunächst hatte er an ein Motel gedacht, aber je länger er darüber nachdachte, desto gefährlicher schien es ihm. Wenn er sie nicht Tag und Nacht bewachte – und er versuchte nicht mal, sich vorzustellen, wie er das Courtney erklärten sollte –, konnte er nicht garantieren, dass sie nicht einen Weg fand, Aufmerksamkeit zu erregen, indem sie an die Tür trommelte oder das Telefon zerstörte oder vielleicht sogar eine Scheibe einwarf.
    Er hatte einen Freund, der oben am Lake George eine Hütte besaß, aber David jagte gern, und Shaun wollte nicht darauf setzen, dass er dieses Wochenende zu Hause blieb. Das Appartement seines Sohnes? Er konnte sagen, er wollte, dass Jeremy heute die Nacht zu Hause verbrachte. Aber selbst wenn er seinen Sohn dazu bringen konnte, was er bezweifelte, hatte er dasselbe Problem mit den Fensterscheiben.
    Der Keller in seinem Haus? Vergiss es. Vielleicht konnte er draußen auf dem Land eine alte Scheune finden. Es gab eine, zu der sie immer gefahren waren, als er noch ein Teenager gewesen war. Wenn er sich nur erinnern könnte, wie man hinkam.
    Dann hörte er die Sirene. Er nahm den Fuß vom Gas und reckte den Hals, versuchte herauszufinden, aus welcher Richtung das Geräusch kam. Es wurde lauter. Lauter.
    Scheiße. Sie war direkt hinter ihm. Er hatte das Gefühl, als wäre sämtliches Blut in seinen Adern durch Eiswasser ersetzt worden. Er blickte an sich hinunter. Die Jacke verbarg den größten Teil der Blutflecken auf seinem Hemd, aber die Flecken auf der Hose waren für jeden Bullen, der durch das Fahrerfenster blickte, deutlich zu erkennen. In seinen Ohren kreischte die Sirene. Die Autos vor ihm fuhren rechts ran. Mit zitternden Händen lenkte er den Mercedes an den Straßenrand. Er hatte nichts, um seine Hose zu verdecken. Nichts, um die verräterischen Flecken zu verbergen. Nichts – sein Blick fiel auf die Wasserflasche im Getränkehalter. Er riss sie heraus, schraubte sie auf und leerte sie über die Blutflecken auf seiner Hose.
    Ein roter Pick-up mit aufgesetztem Blaulicht raste an ihm vorbei. Dumpf starrte er ihm nach, die Plastikflasche mit dem Hals nach unten in der Hand. Unter ihm sammelte sich das Wasser zu Lachen, durchnässte Hose und Unterhose, ruinierte die Lederbezüge.
    Er schleuderte die leere Plastikflasche in den Fußraum vor dem Beifahrersitz, wo sie abprallte und herumrollte, ehe sie liegenblieb. Das äußerst unangenehme Gefühl feuchten Gewebes an den Oberschenkeln ließ ihn die Zähne zusammenbeißen, ehe er sich wieder in den Verkehr einfädelte. Leute sagten häufig: »Das war der schlimmste Tag meines Lebens«, aber Shaun stellte fest, dass dieses Klischee auf ihn wahrhaftig zutraf. Einst hatte er sich beim Skilaufen das Bein gebrochen und über eine Stunde auf die Rettungsmannschaft warten müssen. Er hatte eine Beratungssitzung durchgestanden, in der seine zukünftige Exfrau ihm alles detailliert darlegte, was er in den vorhergehenden zwanzig Jahren Ehe falsch gemacht hatte. Er hatte seine Eltern begraben. Aber das hier, heute, war der schlimmste Tag seines Lebens. In nasser Hose, mit Schmerzen in jedem Muskel,

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