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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert B. Parker
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er merkte bald, dass das unmöglich war. Und so saß er eines Abends auf einem Hocker am Frühstückstresen, eine US-Straßenkarte vor sich ausgebreitet, die Stellenangebote für Polizisten und eine Flasche Scotch neben sich und fragte sich, wo er wohl seinen Frieden finden könnte. Er musste arbeiten und er hatte nichts anderes gelernt, als Polizist zu sein. Von allen möglichen Jobs war der in Paradise, Massachusetts, der am weitesten entfernte. Nach dem ganzen Scotch, der eher seinen Humor als seine Traurigkeit angestachelt hatte, stellte er sich die salzige Gischt des Atlantiks vor und die schneebedeckten Straßen an Weihnachten und die fröhlichen Neuengländer, die unermüdlich ihren Geschäften nachgingen, und entschied, es zuerst mit Paradise zu versuchen. Nun erreichte er die George Washington Bridge und hatte nur noch etwa zweihundert Meilen zurückzulegen. Dennoch fühlte er sich von allem so weit entfernt, als würde er durch den Weltraum fliegen. Es gab noch andere Wege nach Neuengland, aber er hatte sich für diesen hier entschieden. Er wollte den Hudson River auf der George Washington Bridge überqueren. New York City erstreckte sich am Fluss entlangund sah genauso aus wie auf den ganzen Fotos. Man konnte es wirklich nicht mit Los Angeles verwechseln, dachte er. Er war einmal in Chicago gewesen, um einen Typen zu suchen, der einen Gerichtsvollzieher in Gardena umgebracht hatte, und später noch einmal wegen des Vorstellungsgesprächs für den Job in Paradise. Er hatte noch andere Gespräche während des Polizeikongresses im Palmer House in Erwägung gezogen. Aber dann hatte er eingesehen, dass er wohl kein besonders brillantes Zeugnis vom LAPD bekommen würde. Also war Paradise sein einziges Angebot geblieben. Er erinnerte sich noch an die Wolkenkratzer in Chicago direkt am Seeufer, aber die Skyline von New York war anders. Chicago war überwältigend gewesen. Diese Versammlung von Turmspitzen hier machte einen wesentlich kühleren Eindruck. New York hatte nichts Triumphierendes an sich. Es lag etwas Geringschätziges in dieser Ansammlung von roher Eleganz, die den Hochhäusern am Hudson River eigen war.
    Die Erinnerung an das Vorstellungsgespräch war ihm peinlich. Er hatte in der Bar im Erdgeschoss Scotch getrunken. Er dachte daran mit der gleichen Scham wie alle Betrunkenen, die versucht hatten, nüchtern zu erscheinen, obwohl ihnen unterschwellig klar war, dass sie ihre Aussprache nicht mehr richtig kontrollieren konnten. Was ihm am meisten zu schaffen gemacht hatte, war, dass er trinken musste, obwohl er damit seinen Job gefährdete. Eine Hitzewelle stieg in sein Gesicht, als er daran dachte. Aber sie hatten es nicht bemerkt. Seine beiden Gesprächspartner, Hathaway, der Stadtrat, und ein Captain der Polizei von Paradise namens Burkeschienen nicht zu merken, dass er nicht mal das Wort ›Los Angeles‹ klar und deutlich aussprechen konnte. Das Treffen hatte am späten Nachmittag stattgefunden. Vielleicht hatten sie ja selbst schon ein paar gehoben. Sie unterhielten sich in einem Ein-Bett-Zimmer, das Hathaway gemietet hatte. Der Captain hatte ein eigenes Zimmer am anderen Ende des Korridors. Jesse erinnerte sich noch, dass es in dem Zimmer viel zu warm gewesen war. Und er erinnerte sich, dass Burke so gut wie gar nichts sagte und dass Hathaway überhaupt nicht die üblichen Fragen stellte. Er hatte sich zweimal entschuldigt, um ins Badezimmer zu gehen, wo er sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzte. Aber betrunken ist betrunken, das war ihm klar, und kaltes Wasser kann daran auch nichts ändern. Hathaway saß vor dem Fenster im elften Stock mit einem Aktenordner auf dem Schoß, aus dem er einige Papiere gezogen hatte, die er gelegentlich konsultierte. Er fragte Jesse nach seiner Ausbildung, seiner Berufserfahrung, seinem Familienstand.
    »Geschieden«, antwortete Jesse.
    Er sprach es nicht gerne aus. Irgendwie schämte er sich dafür, es erwähnen zu müssen. Er fühlte sich erniedrigt.
    Falls es Hathaway nicht gefiel, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Burke saß im Schatten neben Hathaway beim Fenster und schwieg.
    »Jesse«, fragte Hathaway nach einer Viertelstunde, »was ist Ihre Meinung hinsichtlich des persönlichen Rechts auf den Besitz von Feuerwaffen?«
    »Das ist in der Verfassung klar geregelt, denke ich.« Er hatte Probleme, das Wort ›Verfassung‹ auszusprechen.
    »Ja«, sagte Hathaway, »das denke ich auch.«
    Sie unterhielten sich noch ein wenig über Jesses Karriere als

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