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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert B. Parker
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dem Geruch des Meeres. Der Geruch des Meeres, dachte Jesse, ist so allgegenwärtig, dass man ihn gar nicht wahrnimmt, wenn er nicht in Kontrast zu etwas anderem steht.
    »Irgendwelche Fortschritte in dem Mordfall?«, fragte Abby.
    »Nicht im eigentlichen Sinne.«
    »Was gibt es denn für einen uneigentlichen Sinn?«
    »Na ja, wie bei jeder anderen Ermittlung bedeutet es immer einen Fortschritt, wenn man einen Verdächtigen aussortieren kann. Der Kreis wird kleiner. Aber Fortschritt im Sinne eines konkreten Hinweises, wer es getan hat, nein.«
    »Wen hast du aussortiert?«
    »Ihren Ex-Ehemann. Er hat ein nachprüfbares Alibi für die Tatzeit und mehrere Stunden vorher und nachher.«
    »Und ich nehme an, der Ex-Ehemann ist immer der Hauptverdächtige in so einem Fall.«
    Jesse nickte.
    »Wir fangen immer ganz einfach an«, sagte er.
    »Ist denn im Kreis der Verdächtigen noch jemand außer dem Exmann übriggeblieben?«
    »Ja«, sagte Jesse, »irgendwie schon. Da liegen so einige interessante Teile und Stücke herum, nur keine handfesten Beweise, die wirklich zusammenpassen.«
    »Zum Beispiel?«
    Jesse zuckte mit den Schultern und aß seinen ersten Donut auf.
    »Kennst du die Methode, wie man einen Granitblock in die Skulptur eines Pferdes verwandelt? Man nimmt den Granitblock und schlägt alles ab, was nicht nach Pferd aussieht.«
    »Und das soll eine Antwort sein?«
    Jesse nahm noch einen Schluck Cider.
    »Ich hab nur versucht, umgänglich zu sein.«
    Abby rückte von ihm weg und sah ihm ins Gesicht.
    »Jesse, du willst es mir nicht erzählen.«
    »Über eine Ermittlung zu sprechen, tut der Ermittlung meistens nicht gut.«
    »Verdammt noch mal«, stellte Abby fest. »Du vertraust mir nicht.«
    Jesse sagte gar nichts. Der Pappbecher, aus dem er den Cider getrunken hatte, war leer. Er quetschte ihn zusammen und warf ihn in einen grünen Abfallbehälter.
    »Zwei«, sagte er.
    »Jesse, du musst mir vertrauen.«
    Er drehte sich um und sah sie an.
    »Abby«, sagte er. »Ich glaube, das Hässliche an der Angelegenheit ist, dass ich überhaupt niemandem trauen kann.«
    »Herrgott noch mal.«
    »Nichts scheint hier so zu sein, wie es aussieht«, sagte er. »Deshalb bin ich vorsichtig.«
    »Mich eingeschlossen?«
    »Du sollst dich nicht angegriffen fühlen. Mir bleibt keine andere Wahl.«
    »Ich fühle mich angegriffen und es macht mich traurig – wegen dir. Du vertraust mir nicht. Du musst doch irgendjemandem vertrauen können.«
    Jesse hob die Schultern. Er vertraute tatsächlich jemandem. Gott steh mir bei, dachte er, ich glaube, ich vertraue Jenn. Er entschied, dass er das nicht erwähnen sollte. Das wäre wirklich nicht die Antwort gewesen, die Abby weitergeholfen hätte.
    »Ich möchte dir nicht wehtun«, sagte er.
    Abby sah aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen.
    »Ich weiß«, sagte sie. »Ich weiß, du hast es nicht einfach gehabt. Und als Polizist hast du eine Menge unschöner Dinge gesehen.«
    Jesse streckte die Hand aus und strich ihr über den Oberschenkel. Es tat ihm leid, dass er ihr weh getan hatte, aber es war eher ein abstraktes Mitleid, mehr eine Idee als ein Gefühl. Du musst die Wahrheit ertragen können, dachte er. Wenn du die Wahrheit nicht ertragen kannst, dann weißt du nicht, wo du anfangen sollst.
    Auf der anderen Straßenseite, neben einem Stand, an dem aus Maiskolben gefertigte Puppen mit Baumwollkleidchen verkauft wurden, stand Jo Jo Genest und starrte zu Jesse herüber. Als er den Blick spürte, sah Jesse auf und Jo Jo direkt ins Gesicht. Jo Jos Lippen formtenlautlos das Wort Schlampe. Jesse bemerkte es und sah Jo Jo direkt in die Augen. Er nickte. Jo Jo spuckte aus und ging langsam davon. Jesse sah ihm hinterher.
    Also hab ich recht gehabt, dachte Jesse, es war Jo Jo.
    Abby war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um etwas mitzubekommen.
    »Ich komme mir ziemlich lächerlich vor«, sagte sie. »Ich bin verletzt und kann es nicht verbergen. Ich habe Schwierigkeiten damit, wenn ich ausgeschlossen werde, und mit dieser Beziehung und damit, dass du mir nicht vertraust …«
    Jesse wandte sich wieder ihr zu. Er nickte freundlich.
    »Ich verstehe, wie du dich fühlst«, sagte er. »Du musst dich nicht schämen. Vielleicht kann ich dir ja irgendwann was Besseres bieten. Aber jetzt im Moment ist nicht mehr drin.«
    »Ja«, sagte sie. »Du bist wirklich nett. Aber … ach, verdammt.«
    Sie stand abrupt auf und fing an zu weinen. Mit gesenktem Kopf, um ihr Schluchzen zu verbergen, lief sie

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