Das dunkle Paradies
in Stücke gerissen, als die Bombe, mit der sie ein Kornvorratslager sprengen wollte, zu früh hochging.
Die Sonne geht unter, als die Beerdigung vorüber ist, die Dämmerung legt sich kalt über den See, dessen Ufer schon seit dem Morgen mit Eis bedeckt sind, Eis, das auch während des Tages nicht geschmolzen ist.
Die Menschen verstreuen sich in alle Richtungen, gehen ihrer abendlichen Arbeit nach, packen die letzten Sachen zusammen, holen sich die letzten Befehle ab, all die Männer und Frauen, die schon bald Soldaten sein werden, sie sind bereit für den entscheidenden Schlag.
Aber noch sehen sie alle aus wie ganz gewöhnliche Leute.
Ich werde mich bereits heute Abend auf den Weg machen, sobald es völlig dunkel ist.
Sie werden morgen bei Tagesanbruch losmarschieren, egal was mir passiert.
»Es ist Zeit«, sagt Mistress Coyle, die an meine Seite getreten ist.
Aber sie will damit nicht sagen, dass ich gehen soll.
Zuvor muss noch etwas anderes getan werden.
»Bist du bereit?«, fragt sie.
»So bereit ich nur sein kann«, antworte ich und gehe neben ihr her.
»Wir gehen ein ungeheueres Risiko ein, mein Mädchen. Wenn sie dich schnappen …«
»Das wird nicht passieren.«
»Aber falls doch.« Wir bleiben stehen. »Wenn sie dich ergreifen, dann weißt du, wo das Camp ist, du weißt, wann wir angreifen werden, denn ich sage dir jetzt, dass wir von der Straße im Osten herkommen werden, der Straße, die an dem Amt für Anhörung vorbeiführt. Auf dieser Straße marschieren wir in die Stadt ein und schlagen sie ihm um die Ohren.« Sie fasst mich an beiden Händen und blickt mir fest in die Augen. »Hast du verstanden, was ich dir gesagt habe?«
Ich habe es verstanden. Wirklich. Sie sagt mir absichtlich etwas Falsches, damit ich, wenn ich in Gefangenschaft geraten sollte, im Brustton der Überzeugung die falschen Informationen preisgebe, so wie sie es schon einmal gemacht hat, als sie mir sagte, dass das Camp am Meer liege.
An ihrer Stelle würde ich es genauso machen.
»Ich habe verstanden«, sage ich.
Sie zieht ihren Umhang enger, um sich vor der aufkommenden kalten Brise zu schützen. Schweigend gehen wir nun ein paar Schritte auf das Lazarettzelt zu.
»Wen habt Ihr gerettet?«, frage ich sie.
»Was meinst du damit?«, sagt sie verblüfft.
Wir bleiben wieder stehen. Was mir nur recht ist. »Damals, vor vielen Jahren. Corinne hat erzählt, dass man Euch aus dem Rat der Stadt geworfen hat, weil Ihr jemandem das Leben gerettet habt. Wer war das?«
Sie blickt mich gedankenverloren an und fährt sich mit dem Finger über die Stirn.
»Vielleicht komme ich nicht mehr zurück«, sage ich. »Vielleicht sehen wir uns nie wieder. Es wäre schön, auch mal etwas Gutes über Euch zu hören, damit ich Euch nicht nur als Nervensäge in Erinnerung behalte.«
Fast muss sie grinsen, doch das Grinsen verschwindet schnell wieder, und ihr Blick ist besorgt. »Wen ich gerettet habe?«, sagt sie geistesabwesend. Sie holt tief Luft. »Ich habe eine Staatsfeindin gerettet.«
»Ihr habt was?«
»Du musst wissen, die Antwort war eigentlich schon immer umstritten.« Wir gehen jetzt in eine andere Richtung, auf das Ufer des Sees zu. »Die Männer haben unser Vorgehen im Krieg gegen die Spackle, so erfolgreich es auch war, nie gutgeheißen.« Sie schaut mich an. »Und wir waren sehr erfolgreich. So erfolgreich, dass die Anführer der Antwort im Rat der Stadt mitregierten, nachdem Haven wieder aufgebaut worden war.«
»Und deshalb glaubt Ihr, dass Ihr auch jetzt wieder Erfolg haben werdet. Deshalb glaubt Ihr, dass Ihr es auch mit einer weit stärkeren Übermacht aufnehmen könnt.«
Sie nickt und fährt sich wieder mit dem Finger über die Stirn. Ich bin überrascht, dass sie noch keine Schwielen an dieser Stelle hat. »Haven fing wieder von vorne an. Die gefangenen Spackle mussten die Stadt aufbauen. Aber es gab einige Leute, die mit der neuen Herrschaft in der Stadt unzufrieden waren. Einige Leute hatten nicht so viel Macht und Einfluss, wie sie für sich in Anspruch nahmen.« Sie fröstelt unter ihrem Umhang. »Es waren Leute von der Antwort .«
Sie lässt mir etwas Zeit, damit ich begreife, was das bedeutet. »Bomben«, sage ich.
»Genau. Einige Leute waren so vernarrt in den Krieg, dass sie ihn um seiner selbst willen weiterführten.« Sie wendet sich ab, vielleicht, damit ich ihr Gesicht nicht sehe, vielleicht auch, damit sie mir nicht in die Augen schauen muss und meine Gedanken erahnt. »Sie hieß Mistress
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