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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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antworte ich. »Jemand, dessen Namen man mit Stolz tragen kann.«
    »Wenn du ›uns‹ sagst, meinst du damit …«
    »Ja, mich und Todd.« Ich nehme ihm den Korb aus der Hand und stelle ihn polternd auf den Tisch.
    Einen Augenblick lang ist es still, so wie immer, wenn Todds Name fällt.
    »Keiner von uns hat ihn gesehen, Viola«, sagt Lee vorsichtig. »Aber nachts sind sie ja meist in den Häusern, also heißt das nichts.«
    »Selbst wenn sie ihn gesehen hätte, würde sie es mir nicht sagen.« Ich verteile das Mehl in verschiedene Gefäße. »Sie denkt, er ist tot.«
    Lee tritt von einem Fuß auf den anderen. »Aber du bist vom Gegenteil überzeugt.«
    Ich schaue ihn an. Er lächelt, und ich kann nicht anders, ich lächle zurück. »Du glaubst mir doch, nicht wahr?«
    Er zuckt die Achseln. »Wilf glaubt dir. Und du wärst überrascht, wenn du wüsstest, wie viel Wilfs Wort hier gilt.«
    »Nein«, sage ich und schaue aus dem Fenster, dorthin, wo Wilf verschwunden ist. »Das wäre ich nicht.«
    Der Tag vergeht wie jeder andere und wir kochen und kochen. Das ist unsere neue Aufgabe, Lees und meine. Wir kochen für das ganze Camp.
    Wir haben gelernt, wie man Brot bäckt und zuvor das Korn mahlt. Wir haben gelernt, Eichhörnchen das Fell abzuziehen, den Panzer von Schildkröten abzunehmen und Fische auszunehmen. Wir haben gelernt, wie viel man braucht, um Suppe für hundert Menschen zu kochen. Wir haben gelernt, wie man schneller als irgendwer sonst auf diesem dämlichen Planeten Kartoffeln und Birnen schält.
    Mistress Coyle schwört, dass man nur so einen Krieg gewinnen kann.
    »Deswegen habe ich mich nicht der Antwort angeschlossen«, murrt Lee, als er das sechzehnte Wildhuhn an diesem Nachmittag rupft.
    »Aber wenigstens bist du aus freien Stücken hierhergekommen«, sage ich und rupfe mein Huhn. Die Federn tanzen in der Luft wie ein Schwarm lästiger Fliegen; wohin sie fallen, dort bleiben sie kleben. Kleine grüne Federchen kleben unter meinen Fingernägeln, in meinen Armbeugen und klumpen sich in meinen Augenwinkeln zusammen.
    Ich weiß das, weil auch Lees Gesicht von Federflaum bedeckt ist, genau wie sein langes, blondes Haar und die blonden Härchen auf seinen Armen.
    Ich merke, wie ich wieder rot werde, und reiße energisch ein Bündel Federn aus.
    Aus einem Tag werden zwei, aus zwei Tagen drei, und schließlich wird eine Woche und noch eine Woche und noch eine Woche daraus. Ich koche zusammen mit Lee, spüle das Geschirr, bin drei Tage lang mit Lee zusammen hier eingesperrt, während es draußen in Strömen regnet.
    Und trotzdem. Trotzdem.
    Irgendetwas liegt in der Luft, irgendetwas ist im Gange, aber keiner sagt mir ein Sterbenswörtchen.
    Und ich sitze immer noch hier fest.
    Lee wirft ein gerupftes Huhn auf den Tisch und nimmt sich ein neues. »Wenn wir nicht aufpassen, werden wir die Viecher noch ausrotten.«
    »Die Hühner sind das Einzige, was Magnus trifft«, sage ich. »Alles andere ist zu flink für ihn.«
    »Eine ganze Tierart verschwindet von diesem Planeten, nur weil es bei der Antwort keinen Optiker gibt.«
    Ich lache, viel zu laut, und verdrehe dabei die Augen.
    Ich rupfe das Huhn fertig und nehme ein neues. »Während du zwei schaffst, rupfe ich drei«, sage ich. »Und heute Morgen habe ich mehr Brote gebacken und …«
    »Die Hälfte davon hast du anbrennen lassen.«
    »Weil du den Ofen zu stark geheizt hast!«
    »Ich bin nicht als Koch auf die Welt gekommen«, antwortet er grinsend. »Ich bin zum Soldaten geboren.«
    Ich stöhne auf. »Und du glaubst, ich wäre zum Kochen geschaffen?«
    Aber er lacht nur, und er lacht sogar noch, als ich eine Handvoll nasser Federn auf ihn werfe und sie ihm in die Augen fliegen. »Aua«, sagt er und wischt sie weg. »Du zielst gut, Viola. Wir sollten dir wirklich ein Gewehr in die Hand drücken.«
    Ich senke den Blick schnell wieder und betrachte zum tausendsten Mal das Huhn, das in meinem Schoß liegt.
    »Vielleicht auch nicht«, fügt er etwas leiser hinzu.
    »Hast du …«
    »Was habe ich?«
    Ich fahre mit der Zunge über die Lippen, aber das war ein Fehler, denn jetzt muss ich einen Mundvoll Flaumfedern ausspucken, und als ich es schließlich doch ausspreche, klingt es gereizter, als es klingen sollte: »Hast du schon mal jemanden erschossen?«
    »Nein«, sagt er und setzt sich aufrecht hin. »Und du?«
    Ich schüttle den Kopf, und ich merke, wie die Anspannung von ihm abfällt, deswegen sage ich sofort: »Aber auf mich hat man schon geschossen.«
    Er

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