Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)
der Vertrag von Security Services Nolte & Partners.
»Unsere Einladung zur Milliardärsparty«, sagte Dengler und überflog die Formulare.
Er fuhr fort: »Wir werden verkabelt. Bekommen ein kleines Mikrophon mit ständiger Verbindung zu Noltes Zentrale.«
»Warum denn dieser Irrsinnsaufwand?«, fragte Martin Klein.
»Damit Nolte eine große Rechnung stellen kann«, sagte Dengler, »wir werden als Sicherheitsleute gut zu erkennen sein.«
»Meinst du, da passiert was?«
»Ich glaube nicht«, sagte Georg Dengler.
* * *
Es schneite.
Von allen Monaten mochte Dengler den Februar am wenigsten. Im Februar hatte er regelmäßig vom Winter genug, und er wartete auf die ersten Zeichen des Frühlings, die Schneeglöckchen, die ersten warmen Tage oder die kürzeren Röcke der Frauen. Doch der Februar blieb immer stur und steigerte seine Sehnsucht nach Wärme durch Schnee- und Kälteeinbrüche.
So wie jetzt.
Er stand an dem Fenster seines Büros. Die Heizung hatte er weit aufgedreht. Wärme kroch aus den Heizkörpern und verteilte sich langsam in dem Raum.
Einzelne Schneeflocken blieben auf der Wagnerstraße liegen, andere gesellten sich dazu und verbanden sich zu einem weißen Brückenkopf, der sich nach einer Weile mit anderen zu einer größeren Fläche vereinigte. Bald würde die Gasse weiß sein.
Das Telefon klingelte.
Er blickte zur Madonna und wünschte sich, dass der Anruf von seinem Sohn wäre.
»Georg, bist du's?«
Am anderen Ende war Denglers Mutter.
Sie rief nur selten an. Nur in absoluten Notfällen.
»Georg, mir geht es gar nicht gut«, sagte sie leise.
Dengler zuckte zusammen. Doch er zwang sich, ganz ruhig und vorsichtig nach ihren Beschwerden zu fragen. Dengler konnte sich nicht erinnern, dass seine Mutter auch nur einen Tag krank gewesen war. Nach dem Tod seines Vaters hatte sie unermüdlich den kleinen Schwarzwaldhof bewirtschaftet, die Kühe, die Hühner und die Schweine versorgt und sich um Georg gekümmert, ihren einzigen Sohn. Doch dann war der Dengler-Hof für sie zu viel geworden, der Betrieb geriet immer mehr in Schwierigkeiten, sie musste Vieh und Land verkaufen. Irgendwann hatte sie die Landwirtschaft ganz aufgegeben. Sie verkaufte den Rest des Landes, vermietete Zimmer an Touristen und baute den Hof nach und nach zu einem beliebten Pensionsbetrieb für Wanderer aus. Ganz allein betrieb sie die Pension. Das ganzeJahr über kamen Gäste aus allen Teilen Deutschlands. Von Altglashütten wanderten sie auf den Feldberg, den Belchen, zum Schluch- oder Titisee oder unternahmen Routen auf dem West- und Ostweg, den beiden großen Wanderrouten, die den Schwarzwald durchzogen.
»Mir ist in der Nacht ganz schlecht geworden«, sagte sie, »habe nicht ein Auge zugetan. Und heute geht es gerade so ...«
»Mutter – dann musst du zu einem Arzt!«
»Aber was soll ein Arzt schon machen? Der wird mir bloß irgendwelche Tabletten verschreiben.«
»Wenn es etwas Ernsthaftes ist…«
Für einen Augenblick blieb die Leitung stumm.
»Versprich mir, dass du sofort Dr. Dietsche anrufst«, sagte Dengler.
Seine Mutter sagte nichts.
»Mutter, versprich es mir. Wahrscheinlich ist es ja ganz harmlos. Aber sicher ist sicher. Ruf ihn an. Jetzt! Gleich, nachdem wir aufgelegt haben.
Versprich es.«
»Also gut«, sagte sie kleinlaut.
»Und ruf mich bitte sofort wieder an, wenn du mit Dr. Dietsche gesprochen hast.«
Er hörte, wie seine Mutter auflegte.
Er trat wieder an das Fenster. Doch er sah nicht das Schneetreiben auf der Wagnerstraße, vor ihm stiegen Bilder des Dengler-Hofs auf, Altglashütten, die Kühe, Freya, seine Lieblingskuh, seine Mutter geschäftig inmitten der Feriengäste in der großen Stube. Sie muss sofort zu einem Arzt, dachte er. Zu Dr. Dietsche. Doch die große Stube glich plötzlich nicht mehr dem vertrauten Bild seiner Kindheit, sondern dem Gastraum des Schlosshotels, und da saß Kurt Roth, starr verkrampft, mit offenem Mund.
Georg wandte sich rasch vom Fenster ab.
Und setzte sich an den Schreibtisch.
Er wählte die Nummer des Notars, die ihm die Sekretärin im ockerfarbenen Hosenanzug aufgeschrieben hatte. Als eine junge Frau sich meldete, stellte er sich vor und verlangte Notar Dillmann zu sprechen. Die Frau stellte ihn durch. Er musste einen Augenblick warten und hörte einen alten Schlager von Wencke Myhre als Verbindungsüberbrückung. Dann meldete sich der Notar.
»Ich suche einen Vertrag, den Sie 1947 beglaubigt haben«, sagte Dengler, »es geht um die Übertragung eines
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