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Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)

Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)

Titel: Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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nicht.
    »Ihr Deutschen seid merkwürdige Leute«, sagte Olga.
    »Wieso das denn jetzt?«, fragte Martin Klein. »Was hat das denn jetzt mit Georgs Job zu tun?«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie, »ihr wirkt alle so – dressiert. So unterwürfig, dem Gesetz gegenüber und all euren Vorschriften.«
    »Olga, vergiss nicht, du bist eine Diebin. Das ist kein sicheres moralisches Fundament für solche Anschuldigungen.«
    Olga sah Klein mit funkelnden Augen an.
    »Mein Lieber«, sagte sie, »es stimmt: Ich bin eine Diebin. Ich gehe durch Hotelhallen und stehle anderer Leute Bargeld. Davon lebe ich. Ich führe ein Leben wie im Paradies oder wie im idealen Kommunismus, von dem mir meine Lehrer in Rumänien erzählten. Wenn ich kein Geld mehr habe, marschiere ich zweimal durch das Foyer eines großen Hotels, und bin für drei Monate wieder flüssig. Aber es gibt einen Unterschied: Die Leute, die ich bestehle, sind reich, sie bemerken es kaum, wenn ihnen einige hundert Euro fehlen. Es macht für sie keinen spürbaren Unterschied, ob sie das Geld haben oder nicht. Die Frau mit ihrem Kind, die mit Georgs Hilfe von der Regierung ausgeraubt werden sollte, die spürt es, wenn ihr das Arbeitslosengeld II gestrichen oder gekürzt wird.«
    »Ich habe gelernt«, sagte Dengler, »dass die Gesetze für alle Menschen gleich gelten, ob sie arm sind oder reich. Ein Polizist muss sie ohne Ansehen der Person durchsetzen.«
    »Ach«, Olga wurde nun wütend, »und dieses Gesetz mit dem merkwürdigen Namen ...«
    »Hartz IV«, sagte Klein.
    »... dieses Gesetz gilt auch für Reiche? Kontrolliert ihr auf der Milliardärsparty auch Zahnbürsten, Unterhosen und Leintücher?«
    Schweigen am Tisch.
    »Und ihr beide habt wahrscheinlich diese Regierung gewählt«, sagte sie.
    Klein lachte bitter und sagte: »Ich habe mir zwei Wochen überlegt, wem ich die Erst- und wem ich die Zweitstimme gebe. Hin und her. Ich dachte, es wäre wichtig. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die neue Regierung das Gleiche macht wie die alte, die abzuwählen ich geholfen habe.« Er griff zum Glas.
    »Ich habe gewählt,« sagte Georg Dengler, »all die Jahre. Immerhin war ich Beamter. Aber ich weiß nicht, ob ich es wieder tun werde. Üblicherweise sieht man die Politiker auf der Hauptbühne agieren. Aber ich war Polizist: Habe oft genug hinter der Bühne Dienst getan, habe die Politiker zu oft gehört, wenn sie miteinander sprachen ohne Publikum. Da verlierst du alle Illusionen. Falls man noch welche hatte.«
    Sie schwiegen einen Augenblick.
    »Und ich darf nicht wählen«, sagte Olga.
    Erneutes Schweigen am Tisch.
    »Was mir an eurem Land zu schaffen macht«, sagte Olga leise, »ist, dass die Deutschen kein Gewissen haben. Bei uns auf dem Dorf gab es keine Polizei oder irgendein anderes Organ der Staatsmacht. Bukarest war weit entfernt, und wenn die sich mal einmischten, bedeutete es nie etwas Gutes. Im Dorf müssen alle zusammenhalten. Wer das nicht tut, hat ein schlechtes Gewissen. Aus der Tradition heraus bildete sich unser Gewissen, und entsprechend verhielten wir uns. Die Deutschen haben das Gewissen gegen Vorschriften ersetzt. Immer schon. Im Zweifelsfall wiegt die Vorschrift, der Befehl, die Verordnung, das Gesetz immer höher als das Gewissen.«
    Nachdem sie eine Weile geschwiegen hatte, fragte sie Dengler: »Und – machst du jetzt bei diesem Hartz-Zeug mit?«
    Der schüttelte den Kopf.
    »Ich wusste nicht genau, was mich bei dieser Aktion erwartete«, sagte er, »ich versuche, meinen Lebensunterhalt zu verdienen und dabei so ehrlich wie möglich zu bleiben.«
    Olga sah ihn an.
    »Und? Ist das nun dein neuer Job?«
    »Natürlich nicht«, sagte er.
    Diese Antwort schien sie zufrieden zu stellen, aber sie war immer noch ärgerlich. Sie stand abrupt auf, zahlte ihren Kaffee an der Theke und verließ das Lokal.
    »Die ist aber mächtig sauer«, sagte Martin Klein.
    »Diese Aktion ist natürlich auch eine Schweinerei«, sagte Dengler, und nun berichtete er seinem Freund, wie er das Wiesel in der Luft hatte zappeln lassen.
    Martin Klein lachte: »Das musst du Olga erzählen.«
    Georg Dengler schüttelte den Kopf.
    »Dann wüsste sie jedenfalls, dass du nicht zu den dressierten Deutschen gehörst.«
    »Na ja, als ehemaliger Polizist – in ihren Augen vielleicht doch.«
    In diesem Augenblick betrat der Postbote das Lokal. »Einschreiben für Herrn Dengler.«
    Er stand auf und quittierte den Empfangsschein.
    Als er wieder am Tisch saß, riss er den Umschlag auf. Es war

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