Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)
erkundigte sich nach ihrem Verhältnis zu ihrem Großvater.
»Er war der Hero meiner Jugend«, rief sie, die Fahrgeräusche übertönend, »er kümmerte sich um mich. Er nahm mich schon als Kind mit in die Firma. Er sorgte dafür, dass ich in Mannheim Betriebswirtschaft studieren konnte.«
»Sollte nicht Ihr Bruder in seine Fußstapfen treten?«
»Ja, wahrscheinlich. Frauen gegenüber hatte mein Großvater extrem konservative Ansichten. Kinder, Küche und so weiter, Sie wissen schon. Aber er wurde mit Robert nicht so richtig warm. Er war ihm zu verspielt. Und da blieb ja nur noch ich.«
Sie lachte, aber glücklich klang das Lachen nicht.
»Und Ihre Mutter? Sie hatte doch sicher bei der Erziehung ihrer Kinder das erste Wort?«
Sie dachte nach.
»Meine Eltern haben spät geheiratet. Meine Mutter kommt aus sehr einfachen Verhältnissen. Für sie war die Heirat mit meinem Vater der Aufstieg in eine andere Liga.«
»Und sie widersprach Ihrem Großvater nie?«
»Undenkbar.«
Sie parkte den Porsche am Rand einer Seitenstraße.
»Da oben steht mein Vater.«
Sie wies mit der Hand auf das Fenster eines großen Wohnhauses. Dahinter stand regungslos die Gestalt eines Mannes, der auf die Straße hinuntersah.
»So steht er schon vierzig Jahre da«, sagte Ilona Sternberg. »Am Küchenfenster. Tag für Tag. Er kennt jede Maus auf der Straße mit Namen.«
Sie steckte den Schlüssel in die Haustür. »Manchmal hab ich ihn dafür gehasst«, sagte sie.
»Und in diesem Jahr wird er 72 Jahre alt«, sagte Dengler.
Sie nickte.
»Wie feiern Sie den Geburtstag eines Mannes, der nicht spricht?«, fragte Dengler, als sie die Haustür aufschloss.
»Papa, ich bin's. Ich bringe Besuch mit«, rief Ilona Sternberg laut und munter, als sie die Wohnung betraten. Sie öffnete die Tür zur Küche.
Georg Dengler sah den zusammengefallenen Rücken eines alten Mannes.
»Guten Tag, Herr Sternberg«, sagte er.
Die Gestalt am Fenster rührte sich nicht.
»Ich soll Ihnen die besten Grüße von Kurt ausrichten. Grüße von Kurt Roth«, sagte Dengler laut.
Der Mann am Fenster drehte sich um.
Langsam. Mit kleinen, tippelnden Schritten, wie eine Marionette.
»Von Kurt Roth. Den kennen Sie doch«, sagte Dengler.
Der Mann sah ihn an, aber er sagte kein Wort.
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39. Morgens wurde der Schäferhund gefüttert
Morgens wurde der Schäferhund mit gekochten Kartoffeln gefüttert. Der Bauer kam aus dem Haus und stellte dem Tier einen alten Emailletopf hin. Blackmore sah, wie ein wenig Dampf aus dem Topf aufstieg.
Blackmore hatte Hunger.
Der Hund fraß sofort und gierig.
Morgen werde ich die Kartoffeln essen.
Als die Bäuerin die Kühe gefüttert hatte, stieg er vom Scheunenboden in den Kuhstall hinab und untersuchte die Futterkrippen der Rinder. Sie fraßen ein Gemisch aus Stroh und gehäckselten Futterrüben. Blackmore klaubte die Rübenstücke aus dem Trog und steckte sie in den Mund. Doch die Kühe waren schneller. Bevor er kaum mehr als eine Hand voll davon essen konnte, leckten die Tiere den Trog bereits mit ihren großen Zungen aus.
Blackmore kletterte zurück auf den Scheunenboden.
In einer Ecke lagen einige Bündel Stroh. Hin und wieder hatte eine Ähre das Dreschen unbeschadet überstanden, und auch ringsum und unter dem Stroh fanden sich einzelne Weizenkörner.
Ich mache den Mäusen Konkurrenz.
Den Rest des Tages suchte er Weizenkörner zusammen und steckte sie in den Mund. Noch am Abend, als er einschlief, dachte er an die warmen Kartoffeln.
Als der Bauer am nächsten Morgen den Topf mit den dampfenden Kartoffeln auf den Hof stellte, wartete Blackmore hinter der Ecke des Stalles. In der Hand hielt er eine Hinterkeule der Katze. In der Nacht hatte er den Rest des Felles abgezogen.
Kaum war der Bauer wieder im Haus verschwunden, rief Blackmore den Hund, der gierig an den Kartoffeln fraß.
Blackmore wedelte mit dem Fleisch.
Der Hund ließ von dem Topf ab und rannte auf ihn zu. Blackmore warf die Katzenkeule auf den Boden. Der Hund sprang auf sie zu und schnappte sie, während Blackmore gleichzeitig losspurtete, den Topf nahm und ihn hinüber in die Scheune trug.
Ihm schien, er habe noch nie in seinem Leben so gute Kartoffeln gegessen. Später schlich er sich wieder in den Hof und stellte den Topf zurück. Der Hund, den er Billy getauft hatte, kam sofort und steckte die Schnauze hinein, zog sie aber gleich wieder enttäuscht zurück.
Am nächsten Tag zögerte der Hund einen Augenblick, bevor er die Kartoffeln stehen
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