Das dunkle Universum 04 - Evolution der Leere

und genau darin besteht ein Großteil des Problems. Ein paar Leute wussten durchaus, wie man Dominierung widerstand oder sie umlenkte. Trotzdem gaben sie sich den Anschein, an der Einswerdung mit allen anderen teilzuhaben. Ein paar Wochen ging immer alles gut, bis eines Morgens dann wieder mal die Konstabler zu irgendeinem Laden gerufen wurden, der demoliert worden war, oder zu einer Gondelwerft, in der irgendwelche Störenfriede die Boote zertrümmert hatten. Viel beunruhigender fand Edeard jedoch die Lagerhäuser mit den ganzen ruinierten Vorräten an Obst und Gemüse und Fleisch, die zerhackt und zermatscht oder mit ganzen Wagenladungen von Genistarexkrementen überschüttet worden waren. Dergleichen Aktionen geschahen in letzter Zeit zu oft für seinen Geschmack. Und sie wurden stets von Genistars ausgeführt, die keinerlei Spuren hinterließen, die zum eigentlichen Verursacher führten. Nicht mal in der Erinnerung der Stadt.
    Also knöpften sich Argain und Marcol und Felax einen nach dem anderen die vor, die sich der Einswerdung widersetzten. Allerdings war ihre genaue Zahl unbekannt. Man munkelte, dass sie in die Tausende ging. Edeard dagegen schätzte sie auf einige Hundert. Weshalb er einigermaßen zuversichtlich war, dass seine Spezialistentruppe diese unbelehrbaren Widerständler letzten Endes mürbe machen würde. Es war fast wie in der guten alten Zeit des Großen-Rats-Komitees zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens. Nur dass diese gute alte Zeit eine Illusion war, eine Erinnerung, die bei Licht betrachtet nicht halb so erfreulich war. Nicht mehr als eine weitere quälend lange Phase, die er mit dem Hinundherschieben von Akten und Berichten zugebracht hatte.
    Wenn es eine wahre Konstante in seinem Leben gab, dann waren es die Berge von Papierkram und diese unendlich langweiligen Treffen. Kann das denn wirklich zu Erfüllung führen? Und falls nicht, was dann?
    Der Abend fing nicht gut an. Eines der Mädchen, die Hilitte fürs Schlafzimmer angeschleppt hatte, war solche Mengen an aufgetischten Speisen nicht gewohnt und hatte sich beim Abendessen schlicht überfressen. Als sie sich dann alle ins Hauptschlafzimmer zurückzogen, war ihr einfach nur schlecht. Mit der Einswerdung gingen für einander geöffnete Bewusstseine einher. Was zur Folge hatte, dass ihr Brechreiz wie eine Infektion um sich griff.
    Nachdem sie hinausgestürmt war, holten die Zurückgebliebenen tief Luft und beruhigten ihre empfindlichen Mägen. Edeard kam zu dem Schluss, dass eine ruhige, allein verbrachte Nacht der üblichen Bettakrobatik unter Umständen vorzuziehen war. Er hatte wirklich einen langen Tag hinter sich, relativ ereignislos und alles in allem wenig erfreulich. Sein einziger Versuch, über Longtalk mit Jiska zu reden, hatte in der gewohnten Abfuhr geendet. Seine Kinder hatten allesamt die Partei der Mutter ergriffen. Das war vermutlich der Hauptgrund dafür, dass er sich Hilitte und den anderen zugewandt hatte. Ihre stete Bewunderung war ein probates Mittel, den Verlustschmerz zu lindern, egal, wie oberflächlich ihre Gunstbezeugungen auch waren. Sein einzig wahrer Trost war die Gewissheit, dass eine geeinte Welt ihnen Erfüllung bringen würde und dass er sie nicht im Stich gelassen hatte; auch wenn sie das nie zu würdigen vermochten.
    Er bat Hilitte und die übrigen Mädchen, ihn allein zu lassen. Mit einer Gischt aus verletzten Gefühlen und Bitterkeit im Kielwasser, darunter ein kleiner Unterstrom von Sorge, dass ihre Zeit als Favoritin sich ihrem Ende neigte, stapfte Hilitte aus dem Zimmer. Seine Mattigkeit war so übermächtig, dass er sich nicht dazu aufraffen konnte, sie zu beschwichtigen. Er wob einen dichten Schild um seine Gefühle, schottete sich ab von der sanften, abgeklärten Zufriedenheit der geeinten Bewusstseine, die um ihn herum glommen, und schlief ein.
    Angst, heftige Angst riss ihn aus einem seltsamen Traum. Angst vor einem sich ihm nähernden Bewusstsein. Einen winzigen Augenblick hatte er das Gefühl, wieder in den Wäldern von Ashwell zu sein, zusammen mit den anderen Lehrlingen, auf ihrer Galby-Jagd, von Furcht ergriffen, ohne zu wissen, warum. Doch es war nur Argain. Mit frecher Entschlossenheit hastete er an Bediensteten vorbei, jede Aufforderung ignorierend, zu warten, bis der schlafende Waterwalker den Formen des Anstands gemäß geweckt und von dem Besuch in Kenntnis gesetzt worden war.
    »Ist schon gut«, gab Edeard per Longtalk durch die geschlossene Schlafzimmertür Entwarnung.