Das dunkle Universum 3 - Im Sog der Zeit
Freunde hören nicht mehr auf mich. Ihr hättet Euch Eure Widersacher mit mehr Bedacht aussuchen sollen. Was Ihr für die Konstabler und Ladenbesitzer und Kaufmänner seid, das bin ich für meine Leute. Und ich verliere die Schlacht. Es ist nicht nur Geld, das Ihr mich kostet, es ist meine Autorität. Und ihr Verlust wird sich als tödlich erweisen.«
»Sollte sie sterben, ich schwöre Euch, werdet Ihr es auch.«
»Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass einer von uns noch den nächsten Morgen erlebt, oder?« Ivarl schüttelte den Kopf und hob zum Abschied die Hand, bevor er sich in sein Arbeitszimmer zurückzog.
Edeard knurrte frustriert auf und schlug mit der Hand auf das Geländer.
»Ihr seid der Waterwalker, nicht wahr?«
»Was?« Er fuhr herum und sah Kristabel unter einer von dichtem smaragdgrünem Wein umrankten Pergola stehen. Sein erster Eindruck, von dem er sich stets betrogen fühlte, war voluminöses, unordentliches Haar und spindeldürre Insektenbeine. Gleichermaßen beschämend war sein damit einhergehender erster Gedanke. Sie ist nicht annähernd so hübsch, wie Macsen behauptet.
Kristabel war groß und schlank und besaß ein langes, schmales Gesicht, das sie im Verein mit ihrer derzeitigen Gemütsverfassung unglaublich melancholisch aussehen ließ. Ihr schmächtiger Körper war in ein weites Baumwollnachthemd gehüllt. Wie ihr Vater hatte sie geweint. Ihr Haar, eigentlich goldbraun wie das ihrer Schwester, war von helleren Streifen durchzogen. Es war, als hätte sie es sich gerauft und dabei zu struppigen, fürchterlich abstehenden Strähnen verschlungen.
Edeard erinnerte sich seiner guten Manieren und verbeugte sich. »Ja, Mistress, das bin ich.«
»Mistress!« Sie lächelte, was zu einer Grimasse verunglückte, als sie ihre Tränen zurückzudrängen versuchte. »Mistress, dass ich nicht lache. Unsere Familie ist ein einziger gigantischer Fluch, ein Witz. Wie konnte die Herrin nur zulassen, dass so etwas geschieht?«
»Bitte gebt die Hoffnung nicht auf. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um für die Rückkehr Eurer Schwester zu sorgen.«
»Alles, was in Eurer Macht steht. Und das wäre?« Sie riss sich zusammen. »Bitte verzeiht. Sie ist meine Schwester. Ich liebe sie so sehr. Wieso haben sie nicht mich genommen? Wieso?«
»Ich weiß es nicht.« Edeard verspürte das dringende Bedürfnis, ihr seinen Arm um die Schulter zu legen, um ihr etwas Trost zu schenken. Sie war jünger als er, etwa ein Jahr oder so, schätzte er. Und der Schmerz, der aus ihrem unabgeschirmten Geist hervorwirbelte, war demütigend.
»Vielleicht, wenn Ihr mit ihnen redet«, sagte sie. »Mit den Unmenschen, die das getan haben. Bietet ihnen mich statt ihrer an. Ich möchte ihren Platz einnehmen. Bitte. Sie können mit mir machen, was immer sie wollen, es ist mir egal. Ich will nur, dass meine Mirnatha wieder nach Hause kommt. Sagt ihnen das. Macht ihnen das klar! Ich bin sowieso viel wertvoller für sie, ich bin die erstgeborene Tochter. Ich werde bald Meisterin dieses Distrikts sein.«
»Eure Aufgabe, Mistress Kristabel, ist es, hierzubleiben und für Euren Vater stark zu sein.« Er legte all seine Überzeugungskraft in seine Stimme. »Ich werde Eure Schwester zu Euch zurückbringen.«
»Worte, nichts als Worte. Versprechungen, die ich schon an die tausendmal von irgendwelchen Meistern gehört hab. Sie sind nichts wert.«
»Lasst es mich versuchen. Ich bin kein Meister. Gebt die Hoffnung noch nicht auf. Bitte.«
Verzweifelt knetete sie ihre Hände. »Glaubt ihr wirklich, es gibt noch Hoffnung?«
»Die gibt es immer«, versicherte er ihr ernst.
»Werdet Ihr das Lösegeld übergeben?«
»Wenn es das ist, was nötig ist, dann ja.«
»Ich hab unsere Familienwachen belauscht. Sie sagen, es ist eine Falle für Euch.«
»Ja, das ist es.«
»Ihr kennt Mirnatha nicht einmal.«
»Das muss ich nicht.«
»Ihr seid wirklich ein guter Mensch, nicht wahr? Hassen Euch die Banden deshalb so sehr?«
»Ich vermute, ja.«
Sie straffte sich, glättete ihr Nachthemd. Dann blickte sie ihn fragend an. »Habt Ihr tatsächlich Ranalee eine Abfuhr erteilt?«
Er machte abermals eine leichte Verbeugung. »So ist es, Mistress.«
»Nennt mich nicht so.« Sie lächelte tapfer, dann schnellte sie vor.
Edeard spürte ihre Lippen auf seiner Wange. Er war viel zu perplex, um zurückzuweichen.
»Die Herrin möge Euch segnen, Waterwalker.« Sie drehte sich um und eilte die Gartenterrasse hinunter davon.
Er ging in Mirnathas
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