Das dunkle Universum 3 - Im Sog der Zeit
Atmosphäre heulte so laut, dass es ihr in den Ohren wehtat. Sie hielt sich am Sitz fest, voller Angst, dass dies nun das finale Beben war. Das eine, das sie hinabstürzen lassen würde in den implodierenden Kern des Planeten.
»Alles in Ordnung«, beruhigte sie Inigos sanfte Stimme. »Das ist nur der Sturm.«
Sie grinste unbehaglich. Seine Stimme jedenfalls hatte sich nicht verändert, und die Zuversicht, die sie ihr gab, war nach wie vor unermesslich. Wie oft hatte sie seiner eindringlichen Botschaft an die in Golden Park versammelten Gläubigen gelauscht und nicht seltener seinen zärtlichen Worten, wenn sie allein gewesen waren. Hier wie dort war seine Stimme voller Überzeugungskraft gewesen. Wenn er also sagte, es wäre bloß der Sturm, dann war es auch so.
»Kannst du noch einmal träumen?«, fragte sie.
Das Kabinenlicht begann zu flackern. Auf der Konsole erschienen rote Warnanzeigen, als die gequälte Luft draußen schrill aufjammerte. Inigos Finger streichelten ihre Wangen. »Was möchtest du?«, fragte er, sein Geist vor Mitgefühl strahlend.
»Ich möchte ein letztes Mal nach Querencia gehen«, sagte sie. »Ich möchte durch die Arkaden von Lillylight wandern, möchte in einer Gondel über den Great Major Canal fahren, möchte auf Kristabels Dachgarten stehen, wenn der Morgen herstrahlt über der Stadt.« Sie ergriff seine Hand. »Nur wir. Ist das eine so schändliche Bitte?«
»Nein«, entgegnete er. »Man kann sich kaum etwas Schöneres wünschen.«
»Bring uns dorthin. Bis es vorbei ist.«
Tränen traten ihm in die Augen, kullerten seine Wangen hinab. »Ich kann nicht, Geliebte. Es tut mir so leid.«
»Nein«, weinte sie. »Inigo, bitte.«
»Wir können doch jeden Traum des Waterwalkers zusammen träumen. Jeden. Such dir einen aus.«
»Nein. Die kenne ich alle zur Genüge. Selbst seinen letzten. Ich will wissen, was danach geschah. Wenn du mich schon nicht in das dortige Jetzt bringen willst, dann zeig mir wenigstens diesen letzten Traum, den du hattest.«
»Corrie-Lyn, vertraust du mir noch?«
»Natürlich.«
»Dann hör auf, mich darum zu bitten. Lass uns Edeard besuchen, wie er Meister Cherix in den Birmingham Pool wirft, oder wie er Bises Regiment in Sampalok trotzt. Das sind so wunderschöne Momente. Er zeigt den Menschen, dass ihre Zukunft so ganz anders aussehen kann als die, zu der sie verdammt zu sein dachten.«
»Warum?«, flehte sie. »Sag mir, warum.«
Das Toben des Sturms setzte aus. So abrupt, dass Corrie-Lyn glaubte, plötzlich taub geworden zu sein. Das war’s. Ich bereue nichts. Naja, nicht viel.
»Oh Scheiße.« Inigo schaute zum hinteren Teil der Kabine auf.
»Alles ist gut«, sagte sie tapfer. »Wir sind zusammen.«
»Oh-oh.« Kopfschüttelnd richtete er sich auf.
Corrie-Lyn wand sich in eine unsichere, halbwegs sitzende Position. »Was?«
»Die Herrin muss uns wahrlich hassen; sie hat uns in ein Verderben geführt, das wahrhaftig noch schlimmer ist als der Tod.«
»Inigo, wovon redest –«
Ein blendend greller grüner Blitz erfüllte die Kabine. Reflexartig presste Corrie-Lyn ihre Augen zusammen. Ihre Sehnerven schickten ein flammendes weiß-rotes Nachbild an ihr Gehirn. Sie schrie panisch auf, als eine gewaltige Kraft sie zur Seite schmetterte, sie schmerzhaft an den Sitzen entlangschrammen ließ und in den schmalen Fußraum schleuderte. Hoffnungslos eingeklemmt winkte sie mit ihrem gesunden Arm. »Inigo!« Dann wurde sie sich der mörderisch eisigen Luft bewusst, die über sie hinwegströmte. Erschrocken japste sie auf und spürte im gleichen Moment die Kälte in ihrem Mund und ihren Lungen brennen. Langsam stellte sich ihre Sehkraft wieder ein. Sie blinzelte und sah Inigo, der sich, in ein flimmerndes Kraftfeld gehüllt, auf die Konsole über ihr stützte. Er schaute noch immer zur Rückwand der Kabine. Beinahe gelähmt vor Angst davor, was sie sehen würde, folgte Corrie-Lyn seinem Blick.
Die hinteren zwei Drittel des Crawlers waren komplett verschwunden. An ihrer Stelle schwebten graue Eispartikel durch einen grabesdüsteren Himmel herab. Dahinter krümmten sich purpurrote elektrostatische Bänder über einer breiten Kraftfeldkuppel, die sie jetzt in einer Blase der Ruhe und Stille umschloss.
Die Silhouette einer menschlichen Gestalt malte sich vor dem ausgesperrten Sturm ab, durch ein integrales Kraftfeld vor den entfesselten Elementen zusätzlich geschützt.
Corrie-Lyn blinzelte erneut, versuchte, durch das heftige Blitzgewitter etwas Bildschärfe
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