Das dunkle Universum 3 - Im Sog der Zeit
Zu jeder anderen Zeit hätte Edeard herausfordernd gelacht, doch jetzt biss er einfach die Zähne zusammen und bat die Stadt, ihm Einlass zu gewähren. Er riss sein Pferd abermals herum und lenkte es geradewegs auf die Kristallmauer zu. Sofort änderte die Kavallerie ihre Richtung, um ihm den Weg abzuschneiden.
Eisern hielt Edeard die Gedanken seines Pferds unter Kontrolle, während er näher und näher auf die Mauer zuritt. Es zauderte zu keinem Moment, nicht einmal als es viel zu schnell wurde, um noch rechtzeitig zu stoppen. Ein paar Meter vor der lotrechten Barriere spornte Edeard sein Tier zum Sprung an. Es machte einen Satz nach vorn und sprang, zum Erstaunen der Kavallerie, die ihm dicht auf den Fersen war, geradewegs durch die Mauer, als wäre sie nicht mehr als ein dünner Nebel. Durch das getönte Kristall konnten die Männer sogar sehen, wie es auf der anderen Seite wieder landete und noch einige Meter weiterstürmte. Dann erst zog der Waterwalker die Zügel an. Er schwang sich aus dem Sattel und stand auf dem Boden von Low Moat für einen Moment einfach nur da, bevor er ins Gras abtauchte und geschwind im Boden versank.
In der Mitte des Innenhofs am Fuß der Culverit-Zikkurat tauchte Edeard wieder auf. Die Sinne der Stadt hatten ihm bereits offenbart, was er vorfinden würde: eine lange Reihe von Leichen, in weiße Linnen gehüllt. Und Buate – in der Robe des Haxpen-Distriktmeisters –, der seinen Ge-Affen und verängstigten, weinenden Hausangestellten befahl, wie er die Leichen platziert haben wollte.
Einen kleinen Moment fiel alle Furcht von ihm ab, als er mit seiner Fernsicht Kristabel dastehen sah. Doch als er auf sie zustürmen wollte, die Arme weit geöffnet, um seine Liebste zu begrüßen, schrie Dinlays Seele: »Nein, Edeard, sie ist tot wie ich.«
Kristabel wandte sich zu ihm um, als er taumelnd und verwirrt zum Stehen kam. Da erst erkannte er, dass sie von ihm gegangen war, dass seine Fernsicht ihre Seele gesehen hatte, die über ihrem Leichnam Totenwache hielt.
»Es tut mir leid«, sagte sie mit verlorenem Lächeln.
Edeard zitterte am ganzen Körper vor Erschütterung und Wut. Mit steinerner Miene drehte er sich zu Buate um, der langsam zum Haupteingang des Hauses zurückwich. Auch seine Wachen stahlen sich vorsichtig davon, nicht eine wagte es, die Waffe gegen den Waterwalker zu erheben.
»Ich … ich hatte keine Wahl«, schrie Buate. Er war aschfahl. »Owain hat mir befohlen, die Meisterschaft von Haxpen für mich einzufordern. Es kam zu einem Kampf. Auf beiden Seiten gab es viele Tote.«
»Wer hat dir das angetan, Kristabel?«, flüsterte Edeard. Die Worte gingen ihm kaum über die Lippen.
»Seine Männer kamen im Morgengrauen vor drei Tagen. Homelt und unsere Wachen haben heldenhaft gekämpft. Aber die Pistolen, Edeard, sie hatten diese schrecklichen Pistolen. Gegen sie konnte niemand etwas ausrichten. Sie haben unsere Wachen getötet, meine Cousinen und die Kammerfrauen vergewaltigt, alt und jung, sie haben niemanden verschont auf ihrem Weg ins oberste Geschoss. Mit Gewalt haben sie sich bis zum zehnten Stock vorgearbeitet. Papa und ich haben sie aufzuhalten versucht, aber sie waren zu stark. Edeard, ich bin gesprungen. Ich wollte nicht zulassen, dass sie mir das antaten. Alles war verloren. Papa und ich und Mirnatha haben uns bei den Händen genommen und sind von ganz oben von der Treppe gesprungen. War das falsch?«
»Nein, Liebste, du hast nichts falsch gemacht. Ich hätte hier sein sollen, um dich zu beschützen. Ich bin derjenige, der versagt hat.«
»Papa und Mirnatha sind zu den Sternennebeln aufgebrochen, um nach dem Herzen zu suchen, Edeard. Sie sind den Liedern gefolgt. Mama wird dort sein und auf sie warten. Ich bin hiergeblieben. Ich wusste, dass du kommen würdest. Ich musste dich, bevor ich gehe, noch ein letztes Mal sehen.«
»Was?«, fragte Buate. Seine Fernsicht tastete im Innenhof umher, versuchte herauszufinden, mit wem Edeard sprach. »Wer ist da?«
»Wer da ist?«, wiederholte Edeard wie betäubt. »Meine Frau ist hier. Mein Freund ist hier. Meine Mutter und mein Vater sind hier.«
Lächelnd wandte Kristabel ihren Blick auf Edeards Eltern. »Er ist Euer Sohn?«
»Das ist er«, sagte Edeards Mutter.
»Ich liebe ihn so sehr.«
»Das wissen wir. Er hat niemals so viel Glück und Zufriedenheit erlebt wie mit dir.«
»Ich seh niemanden«, stammelte ein sichtlich verängstigter Buate.
»Erlaube mir, sie dir zu zeigen«, sagte der Waterwalker zu
Weitere Kostenlose Bücher