Das dunkle Volk: Eishauch: Roman (Knaur TB) (German Edition)
kämpfte die Angst nieder. »Ich habe schon Schlimmeres überlebt. Wenn man sich schon mit sechs mit seiner Junkie-Mutter auf der Straße durchschlagen muss, neigt man dazu, andere Bedrohungen als Bagatellen zu betrachten.«
Im Übrigen würde ich heute meinen geliebten Grieve wiedersehen, wenn ich die Zeichen richtig gedeutet hatte. Und das allein reichte, um mir die nötige Kraft zu geben. Ich folgte Rhiannon hinunter und spähte durchs Wohnzimmerfenster. Geoffrey hatte gesagt, dass er einen Wagen schicken würde, und ich wollte lieber draußen sein, wenn er kam, anstatt mich vom Fahrer herausklingeln zu lassen.
Ein Blick zum Goldenen Wald sagte mir, dass Myst offenbar das Verschwinden ihres Liebhabers entdeckt hatte: Der Wald strahlte hell wie ein brennendes Haus, und das giftige Leuchten, das die Bäume einhüllte, flammte hier und da auf und spuckte Funken. Ich sah mich nach Wrath um, konnte ihn aber nirgends entdecken, und ich hoffte inständig, dass er ebenfalls bei Geoffrey sein würde. Ich brauchte jemanden an meiner Seite, dem ich wirklich vertrauen konnte, und von allen Beteiligten würde Wrath am ehesten meine Partei ergreifen. Lainule war auf ihre Art erbarmungslos, und die Vampire benutzten mich für ihre Zwecke, aber Wrath war mein Vater. Und er wachte über mich, seit ich nach New Forest zurückgekehrt war.
Eine schwarze Limousine fuhr auf unsere Auffahrt, und ein Vampir stieg aus, den ich schon von Geoffreys Anwesen kannte. Ich atmete kontrolliert aus und wappnete mich. Dann nahm ich die Tüten mit Geoffreys gereinigter Kleidung, die Schokolade und das gerahmte Gemälde und trat hinaus in die eisige Nacht. Ich begab mich direkt in die Arme des Schicksals. Und ich hoffte nur, es würde mich mit Küssen übersäen und nicht mit seiner Peitsche geißeln.
Als wir unsere Auffahrt verließen, sah ich zurück zum Haus der Schleier und fragte mich, wie lange wir noch gegen Myst bestehen konnten. Unsere Schutzzauber waren stark, aber ihre Gier war stärker.
21. Kapitel
A ls ich das Haus betrat, kam ich mir vor, als richteten sich alle Blicke auf mich. Was zum größten Teil daran lag, dass es diesmal kein Gedränge gab. Ich stand nahezu allein mit dem Butler-Vampir im Foyer. Hier und da kamen und gingen ein paar Leute – Vampire, Bluthuren, Dienstboten –, aber darüber hinaus schien das Anwesen ziemlich leer.
»Kommen Sie mit«, sagte mein Führer. Ich nahm die Tüten und gehorchte.
Wir erreichten eine Tür, durch die ich noch nie zuvor gegangen war, und als ich das Zimmer dahinter betrat, bebte und winselte mein Wolf. Ich flüsterte tröstende Worte, um ihn zu beruhigen, dann wandte ich mich mit hämmerndem Herzen Geoffrey zu.
Er saß dort allein und wirkte hungrig. Ich ließ die Tüten fallen und blickte über meine Schulter, als die Tür hinter mir zufiel und abgeschlossen wurde.
»Geoffrey, was wollten Sie von mir?« Ich war mir nicht sicher, wie ich das Gemälde ansprechen sollte – oder, um ehrlich zu sein, wie ich überhaupt mit ihm reden sollte. Es machte mich nervös, mit dem Regenten allein zu sein, vor allem nach dem, was ich gehört und gesehen hatte, als ich mit Kaylin das Ritual der Eulenleute beobachtet hatte.
Langsam erhob er sich und kam auf mich zugeschlendert. Ohne ein Wort zu sagen, umkreiste er mich, um schließlich direkt vor mir stehen zu bleiben. »Weißt du, wo Leo ist, Cicely?«
Ich sog scharf die Luft ein. »Ja. Er ist sehr krank. Er ist heute Morgen fiebernd in Ohnmacht gefallen. Ich … ich habe es übernommen, die Aufträge für ihn zu erledigen, da ich ja wusste, dass ich Sie heute hier treffen würde.« Ich schob die Tüten mit der Schuhspitze vor.
Er blickte auf sie hinab. »Da waren wir aber rücksichtsvoll, was? Den Laufburschen spielen, damit Leo keinen Ärger bekommt … oder gab es noch einen andere Grund dafür?«
Schaudernd bückte ich mich und griff zögernd nach der Tüte mit dem Gemälde. Ich hielt es ihm hin. »Was ist das?« Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, und nun zitterte ich so stark, dass mir die Worte nur schwer über die Lippen kamen. »Waren Sie und Myst …?«
»Ah. Du hast es also gesehen. Das hatte ich eigentlich vermeiden wollen. Es hat Gründe, warum wir Tagesboten einstellen. Leo hätte heute Morgen anrufen und um eine Vertretung bitten sollen. Darüber werde ich mich wohl mit ihm unterhalten müssen.«
»Bitte tun Sie das nicht. Er war im Delirium.«
»Manchmal erinnern mich Magiegeborene an Menschen. Schwach,
Weitere Kostenlose Bücher